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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder
Autoren: Sabine Bode
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fielen oder wurden vermisst, 3 Millionen kamen als Kriegsversehrte zurück, darunter 500.000 als Schweramputierte.

Wenn das Vorbild fehlt
    Was in den biografischen Geschichten nicht zu übersehen ist: Kaum einer der Kriegsteilnehmer war seinen Kindern ein Vorbild. Der Befund entspricht dem Credo der 68er, »Bloß nicht werden wie meine Eltern«. Neu sind solche Einsichten nicht, doch glaube |289| ich, wir können es uns als Gesellschaft nicht leisten, mit einem »Ja, ja – so war es eben« darüber hinwegzugehen. Jürgen Müller-Hohagen wies darauf hin: »Es ist die wichtige Aufgabe von Vätern, Orientierung zu geben, Orientierung über die Welt.« Wie viele Kriegsteilnehmer konnten ihren Kindern die notwendigen Grundlagen vermitteln, damit diese später im Leben ihren Platz finden und dann auch ihrerseits Orientierung geben können? Und weiter: Was fehlt Menschen, wenn sie diese Orientierung nicht bekommen hatten? Können sie zum Beispiel andere Menschen führen?
    Die Frage beschäftigt mich deshalb, weil in Deutschland die meisten verantwortungsvollen Positionen mit Angehörigen der Geburtsjahrgänge der fünfziger Jahre besetzt sind. Können Menschen, die von ihren Vätern nur abgewertet wurden, Orientierung geben und Maßstäbe setzen? Sind sie für andere überzeugend? Gelten sie in ihren Entscheidungen als berechenbar? Sind sie als hohe Politiker, als Banker, als Generäle, als Leiter von Sendeanstalten, Kliniken und Universitäten in der Lage, Spannungen und Konflikte in Gruppen auszuhalten, selbst dann, wenn Lösungen nicht in Sicht sind? Ich meine, es ist an der Zeit, vor dem Hintergrund des Erbes der Soldatenväter über Führungsschwächen nachzudenken. Auch hier wäre eine Forschungslücke zu schließen.
    An dieser Stelle höre ich immer wieder den Einwand: Kann es nicht endlich einmal genug sein? Kein anderes Volk hat sich so ernsthaft mit den Massenverbrechen seiner Vergangenheit auseinandergesetzt wie wir Deutschen. Damit haben wir das Vertrauen der anderen Nationen erworben, mit dem Ergebnis, dass Deutschland heute in der Staatengemeinschaft wieder geschätzt wird und eine wichtige Rolle spielt.
    Dazu sage ich: Alles richtig so weit. Doch die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit war vor allem eine akademische. Sie wurde den Historikern und den Publizisten überlassen. Seit einigen Jahren allerdings wächst das Interesse an einer emotionalen |290| Aufarbeitung. Und wo sollte diese beginnen, wenn nicht in der eigenen Familie? In diesem Buch haben Menschen beschrieben, wie das Aufräumen im eigenen Keller sie entlastete, manchmal sogar befreite. Daher bin ich davon überzeugt: Das individuelle Ordnung machen wird in der Summe auch in unserer Gesellschaft heilsam wirken. Und natürlich hoffe ich, es wird den Entscheidungsträgern in unserem Land zu mehr Weitblick und Standfestigkeit verhelfen.
     
    Ich hatte meinem Projekt den Arbeitstitel »Vaters Krieg« gegeben, und wenn ich ihn irgendwo nur beiläufig nannte, war es spannend zu sehen, wer darauf reagierte. In erster Linie waren es Männer. Frauen zeigten sich deutlich zurückhaltender. Deren Ablehnung hatte vor allem drei Gründe. Entweder, die Töchter hatten das Kapitel in einer Therapie abgeschlossen, und es drängte sie nichts, das Paket noch einmal aufzuschnüren. Oder die Beziehung zum Vater war so belastet gewesen, dass sie mit dem Thema nichts mehr zu tun haben wollten. Oder – auch das gab es – sie konnten nur Gutes über ihren Vater sagen, wussten aber fast nichts über seine Soldatenvergangenheit und wollten auch nicht mehr erfahren.
    In den von mir gesammelten biografischen Geschichten zeigt sich: Die ehemaligen Kriegsteilnehmer – mögen viele auch im Alter umgänglicher und nachdenklicher geworden sein – haben als Väter von Kindern und Jugendlichen weitgehend versagt. Ich hätte meine männlichen Gesprächspartner weiterfragen können: Und ihr? Wie seid ihr als Väter? Ich tat es nicht, weil drei kinderlos waren und nur vier hätten Auskunft geben können, das fand ich als Grundlage, um irgendwelche Schlüsse zu ziehen, einfach zu dürftig.

|291| Was machte den Nebel so undurchdringlich?
    In der Hinterlassenschaft der Soldatenväter werden die Auswirkungen des Schweigens als die größte Belastung beschrieben. In dieser Eindeutigkeit hat es mich überrascht. Zwar ging es mir selbst nicht anders, doch dachte ich, meine Altersgenossen seien davon weit weniger betroffen. Nun zeigt sich, dass ich nur früher als andere
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