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Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Autoren: Sebastian Glubrecht
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lachen die Leute jetzt, wenn auch auf meine Kosten. Aber ich lasse mich nicht beirren. Ganz langsam, mit ruhiger Stimme sage ich, was ich zu sagen habe:
Ich muss euch auch was Wicht’ges sagen,
aus guten und aus schlechten Tagen.
Nach Bayern wollt ich niemals ziehn,
ich liebte immer nur Berlin.
Niemand in Deutschland sei so offen,
dacht ich – dann hab ich Knoll getroffen.

Er machte mich zum Ochsenreiter,
zum Schafkopfer und Rankelfighter.
Roni hat er mir anvertraut,
doch ich Idiot hab Mist gebaut.
Hab zu viel Wiesenbier getankt
und Knolls Freundschaft mit Spott gedankt:

«Ihr Bayern, Spießer, CSU»,
rief ich, «lasst mich doch bloß in Ruh!
Der Ludwig fett, das Land sakral,
total verlog’ne Scheißmoral!»
Ich sag es euch aufs G’ratewohl:
Der Preiß verträgt kein’ Alkohol.
    Jemand wirft ein angebissenes Stück Rettich nach mir. Es trifft mich am Kopf. Ich höre Roni lachen. Ihre Stimme verleiht mir neuen Mut. Wenigstens lacht sie wieder. «Ich bin noch nicht fertig», rufe ich.
Zu Roni war ich noch gemeiner,
ich knutschte rum mit irgendeiner.
Den Akt hab ich zwar nicht vollzogen,
doch hab mich selbst dabei betrogen.
Denn bisher lenkten mich bloß Triebe.
Seit Roni weiß ich: Das ist Liebe!

Hierher zu zieh’n war ein Gewinn.
Denn nun erst macht mein Leben Sinn.
Ich leg mein Wohl in eure Hände,
Jetzt ist es raus, ich bin am Ende.
    Hier muss ich mich kurz sammeln. Ich blinzele ins Halbdunkel – und schließe mit dem gewagtesten Reim des gesamten Gstanzls:
Zum Hendl gehört Petersilie –,
Verzeih mir, bayerische Familie!
    Völlige Stille. Meine Augen suchen Knolls Gesicht. Auch die Köpfe der anderen drehen sich jetzt in seine Richtung. Knoll hält den Blick gesenkt, als denke er nach. Dann hebt er den Kopf, zieht ein Stofftaschentuch aus der Hose und schnäuzt sich kräftig. Nachdem er es wieder weggesteckt hat, schaut er mir direkt in die Augen. Sein Blick ist schwer zu deuten. Langsam hebt er die Hände und beginnt, rhythmisch zu klatschen. Nach und nach fallen die anderen Gäste mit ein. «Bist scho a Hundling», ruft Knoll anerkennend. Mir fällt ein Stein vom Herzen.
    Mein Blick wandert zu Roni. Sie schaut mich trotzig an und streckt mir die Zunge heraus. Nicht ideal, aber immerhin etwas. Meinen größten Trumpf habe ich schließlich noch gar nicht ausgespielt. Mit einem Seitenblick zum Buffet vergewissere ich mich, dass dort ausreichend Haxen stehen. Ich gebiete der Menge zu schweigen und löse das Mikrophon aus der Halterung.
    «Ich komme nicht aus Bayern», rufe ich mit fester Stimme. Das Gemurmel verstummt. «Ich wurde in Hannover geboren und habe lange in Berlin gelebt. Und wahrscheinlich wäre ich schon längst wieder dort, wenn ich nicht Knoll und Roni kennengelernt hätte. Sie haben mich eines gelehrt: Wir Wahlberliner suchen immer das Multikulturelle, aber vor unserer eigenen Kultur laufen wir weg. Wir behaupten, keine Vorurteile vor Menschen anderer Nationen zu haben, aber unsere Landsleute, die Bayern, wollen wir gar nicht erst kennenlernen. Da hakt es doch!»
    Zustimmender Applaus.
    «Martin Luther King kämpfte für eine bessere Welt. ‹Ich habe einen Traum›, rief er. ‹Ich habe den Traum, dass eines Tages jedes Tal erhöht, jeder Berg und Hügel abgetragen werden, alle Unebenheiten geebnet, alles Gewundene begradigt wird.› Nun, er hätte das sicher anders formuliert, wenn er irgendwann mal in den Alpen gewesen wäre», scherze ich. Das Publikum dankt es mir mit freundlichem Gelächter. Also weiter:
    «Auch ich habe einen Traum. Ich träume davon, dass Preußen und Bayern miteinander leben können. Ich habe den Traum, dass wir alle miteinander ein gleich großes Bier trinken können.» Beifall. « Und ich träume davon, dass wir zusammen, nicht als Preußen oder Bayern, sondern als Menschen miteinander leben.» Das hat gesessen. Ich setze zur Überleitung an:
    «Knoll hat mir viel über bayerische Traditionen erzählt …» Ein Seitenblick zu Knoll, der wohlwollend nickt. «Eine dieser Traditionen habe ich verinnerlicht. Es ist eine vergessene bayerische Kunst, ein Brauch, der nur vom Vater zum Sohn überliefert wird. Sein Erfinder hieß Anton Watzen.»
    Ich mache eine bedeutungsschwangere Pause, lasse meinen Blick durch den Saal schweifen, sehe aber keine Reaktion. Also fahre ich fort:
    «Meine Damen und Herren. Ich werde Ihnen nun die vergessene Kunst des Watzendudelns zurückgeben», verkünde ich feierlich. «Man reiche mir eine Haxe!»
    Eine Kellnerin läuft zum
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