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N. P.

N. P.

Titel: N. P.
Autoren: Banana Yoshimoto
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jammerte, eine munterte auf, eine wollte schmusen, eine nahm sie zärtlich in die Arme, eine wurde wütend, eine machte ihren Fehler wieder gut.
    Mit der Zeit gewöhnten wir uns an diese Art zu leben.
    Unsere gemeinsame Zeit sei begrenzt, meinte Mutter und brachte uns deshalb Englisch bei. Abends nach zehn schlugen wir am Küchentisch unsere Hefte auf und lernten eine Stunde lang Englisch. Aussprache, Vokabeln, einfache Konversation. Wir waren jung und dachten insgeheim ›was fürn Quatsch‹, rissen uns aber ihr zuliebe zusammen und spielten mit.
    Beim Stichwort ›Mutter‹ erscheint deshalb in unseren Köpfen nicht etwa ihr Rücken, das heißt, wie sie in der Küche steht und arbeitet. Wir sehen statt dessen ihr unvorteilhaftes Profil beim Englischunterricht, auf der Nase die Brille mit Metallrand, und ihre weißen Hände, die mit atemberaubender Geschwindigkeit in dicken Wörterbüchern blättern. Die Leidenschaft, mit der sie uns unterrichtete, war bezaubernd – so, als gelte es, sich selbst noch einmal die Grundlagen der englischen Sprache einzuprägen, so, als zöge sie die Linien ihres eigenen Lebens nach.
     
    Jetzt wohnen wir nicht mehr zusammen. Mutters Kommentar dazu, daß meine Schwester mit einem Ausländer verheiratet ist und ich eine Stelle am Seminar für Anglistik bekommen habe, lautet: »Ihr habt das bloß geschafft, weil ich euch gezeigt habe, wie interessant Englisch ist.« Jedesmal, wenn wir uns treffen, sagt sie das und lacht. Das liebe ich immer noch am meisten an ihr.

 
     
     
    M it einem Schlag war ich wieder hellwach. Als erstes fiel mir durch den Spalt zwischen den Vorhängen der klare Sommerhimmel ins Auge. Im Farbton ganz wie der Traum, in dem ich eben noch gewesen war.
    Ich hatte im Schlaf geweint, hatte dieses sichere Gefühl, aus dem klaren Traumfluß Goldstaub mitgebracht zu haben.
    Noch ziemlich benommen überlegte ich, ob ich nun aus Traurigkeit geweint hatte oder weil ich von Traurigkeit erlöst worden war. Fest stand jedenfalls, daß ich noch nicht aufwachen wollte.
    Durch das Fenster, das einen Spalt offenstand, kam frischer Wind herein.
     
    Den ganzen Tag, auch nachdem ich ins Seminar gegangen war, wurde ich dieses Gefühl nicht los.
    Darum passierten mir lauter Mißgeschicke, ich zerschlug Teetassen, goß Kaffee daneben, et cetera, et cetera.
    Ein ›Komisch!‹ nach dem anderen entfuhr mir. Irgendetwas ging in der Tat nicht mit rechten Dingen zu.
    Als habe sich das Gefühl aus dem Traum nahtlos in die Wirklichkeit fortgesetzt.
    Ich erwischte mich ständig bei dem Gedanken, was das nur für ein Traum gewesen sein konnte.
    Was auch der Grund dafür war, daß ich jenes Gespräch nicht annahm und das Telefon klingeln ließ. Das x-te Mißgeschick an diesem Morgen. Ich kam wieder zu mir, als der Professor abnahm und sich mit »Ja, hallo« meldete, wobei er mir einen verwunderten Blick zuwarf.
    »Frau Kanō, für Sie!«
    Mit gezwungenem Lächeln reichte er mir den Hörer. Ich murmelte eine Entschuldigung und meldete mich.
    Aber als ich »Hallo« sagte, wurde am anderen Ende aufgelegt. Verdutzt fragte ich den Professor: »Wissen Sie, wer das war?«
    »Nein, nur daß es eine Frau war. ›Ist Frau Kanō da?‹ sagte sie, sonst nichts«, antwortete er. »Abgesehen davon, Sie scheinen heute erschöpft zu sein, Frau Kanō. Gehen Sie ruhig schon in die Mittagspause.«
    »Ja, aber es ist doch erst elf Uhr.«
    Kaum hatte ich dies entgegnet, hoben plötzlich sämtliche Kollegen den Kopf an ihren Schreibtischen und sagten wie aus einem Munde: »Aber das macht doch nichts, geh schon.«
    Ich fühlte mich regelrecht hinausgeworfen und verließ den Raum.
     
    Bin ich denn dermaßen komisch heute, ging es mir durch den Kopf, während ich über den menschenleeren Sportplatz zum Unitor hinausging. Mir selbst war das gar nicht so bewußt geworden. Mein Körper hatte sich lediglich noch nicht an die Wirklichkeit gewöhnt, und die Welt sah frisch und neu aus. Vielleicht, fiel mir ein, habe ich ja meine eigene Geburt geträumt!
    Auf der ansteigenden Straße hinter der Uni gab es einen Buchladen. Für die verlängerte Mittagspause wollte ich mir was zu lesen kaufen.
    Und auf halbem Weg dorthin traf ich plötzlich Otohiko. Die zweite Begegnung unseres Lebens.
    Ich mußte gerade die alte Einkaufsstraße, die seitwärts auf die bergan führende Straße trifft, überquert haben und sah wohl noch ganz in Gedanken zur Seite, hingerissen vom glitzernden Silber und Rosa der in den blauen Himmel ragenden
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