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N. P.

N. P.

Titel: N. P.
Autoren: Banana Yoshimoto
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des Englischen in japanische Zeichen sah ich schwarze Nebel aufsteigen. Und diese Stimmung ließ mich nicht los. Als sei ich mitsamt Kleidern von Wellen mitgerissen worden und schwömme nun, da mir alles egal geworden ist, in die offene See hinaus, die nassen Kleider kleben mir auf der Haut … Glücklicherweise war ich da noch eine Schülerin mit wechselhaften Launen und gab an diesem Punkt auf. Ein gesundes Gemüt versteht es, rechtzeitig aufzuhören. Glaube ich zumindest.
    Wollte man das, was ich damals empfand, als Landschaft fassen, müßte es eine vom Wind bewegte, endlose Silbergrassteppe sein. Oder die türkisblaue, korallenbewachsene Tiefsee. Und dort die schon überirdische Stille der Fische, die in bunten Farben vorbeigleiten.
    Mit einer solchen Welt im Kopf kann man nicht alt werden. Ich dachte an die tiefe Melancholie, von der Otohikos Vater erfüllt gewesen sein mußte.
    »Japanisch ist eine seltsame Sprache. Wirklich. Eben habe ich zwar das Gegenteil behauptet, aber seitdem ich nach Japan zurückgekommen bin, fühle ich mich seltsam alt. Die Sprache brennt sich mir ein, tief ins Herz. Ich glaube, seither habe ich neu begriffen, daß Vater Japaner war, daß er beim Schreiben Japanisch im Hinterkopf hatte. Deshalb passieren diese schlimmen Dinge bestimmt auch nur beim Übersetzen ins Japanische. Der Text ist durchsetzt mit schwerem Heimweh nach Japan. Er hätte direkt auf japanisch geschrieben werden sollen!« sagte Otohiko.
    Ich war zwar nicht ganz sicher, aber sehr wahrscheinlich kam seine Ansicht meiner in einigen Punkten ziemlich nahe. Ich fragte: »Willst du Schriftsteller werden?«
    »Momentan nicht, nein. Aber ich hab schon mal daran gedacht.«
    »Was hältst du von der achtundneunzigsten Erzählung?« fragte ich.
    »Wieso?« sagte er ziemlich erstaunt.
    »Die Inzest-Geschichte, du weißt. – Glaubst du, dein Vater hat deiner Schwester gegenüber wirklich leidenschaftliche Liebe empfunden?« fragte ich. Er antwortete ohne Umschweife. »Ja, ich denke schon. Ich hab ihn zwar nicht so oft gesehen, aber er war eindeutig verrückt.«
    Wie seine achtundneunzigste Erzählung: Der geschiedene, alleinlebende Held mit wüstem Lebensstil verliebt sich in ein offenbar minderjähriges Mädchen, das er in einer Vorstadtbar kennengelernt hat. Nachdem er mehrmals mit ihr geschlafen hat, erfährt er, daß sie seine Tochter ist. Die betörenden Reize der eigenen Tochter nehmen ihn gefangen.
    »Es ist nicht bloß eine Lolita-Geschichte. Gegen Ende, wahrscheinlich aufgrund von Drogen und Alkohol, wird es ungeheuer phantastisch, findest du nicht? Die Darstellung ihrer übermenschlichen Schönheit – dem Bildnis einer Meerjungfrau von Doyle nachempfunden. Ich fand das toll!« sagte ich. Er nickte, ein bißchen verlegen, aber allem Anschein nach stolz. Also doch, er war stolz auf seinen Vater, das fühlte ich genau.
    »Sie muß einfach veröffentlicht werden, finde ich!«
    »Saki, das heißt, meine Schwester, schafft das bestimmt irgendwann. Sie will es nämlich unbedingt«, sagte er. »Übrigens, hast du die achtundneunzigste Erzählung noch?«
    »Ja, ich bekam sie als Andenken an Sh ō ji.«
    »Dann solltest du vorsichtig sein, es gibt nämlich jemanden, der wie verrückt dahinterher ist.«
    »Deine Schwester?« fragte ich, erschrocken über die seltsame Implikation der Worte ›vorsichtig sein‹.
    »Nein, nicht Saki. Wenn sie sie wollte, würde sie direkt zu dir kommen und dich um eine Kopie bitten. Nein, es gibt da noch jemanden, eine furchtbar fanatische Person, die sämtliche Exemplare haben will, obwohl sie selbst schon eins besitzt.«
    »Du kennst diese Person?«
    »Es ist die Frau, mit der ich bis vor kurzem herumgereist bin. Wir sind zusammen nach Japan zurückgekommen, und sie scheint über dich Bescheid zu wissen.«
    »Du bist also mit einer Fanatikerin zusammen?« Und als ich lachte, sagte er: »Bei Leidenschaft pur werd ich halt schwach«, und mußte ebenfalls lachen.
    »Sie ist bestimmt auch in die Erinnerung an deinen Vater verliebt, meinst du nicht?«
    »Ja, aber das ist doch gerade das Interessante.«
    »Du bist auch ne komische Type!«
    »Danke, gleichfalls. Bei dir hab ich das eigenartige Gefühl, dich schon elend lange zu kennen.«
    »Das tust du ja auch!«
    »Stimmt auch wieder. Wir haben wahrscheinlich so viel gemeinsam, weil wir beide eine Phase völliger Fixierung auf diese Erzählung durchgemacht haben. Deshalb verstehen wir uns so gut.«
    »Sogar jetzt denke ich manchmal noch daran«, sagte
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