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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium
Autoren: David Ambrose
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nächsten Morgen wahrscheinlich schon wieder meilenweit entfernt war.«
    »Es gab keine Fingerabdrücke im Haus außer denen von Familie und Freunden?«
    »Korrekt.«
    »Aber bei diesen Fingerabdrücken waren auch einige von Brendan Hunt?«
    »Es war das Haus meiner Schwester«, erklärt Samantha Chase. »Brendan ist dort genauso oft ein und aus gegangen wie alle anderen.«
    »Was ist mit DNA-Spuren?«
    Warren Chase macht wieder eine dieser unbestimmten Gesten mit Händen und Schultern, die Bände sprechen über sein Bedauern, was alles möglich gewesen wäre. »Das alles war vor gut fünfzehn Jahren, bevor Methoden zur DNA-Typisierung zur Verfügung standen«, sagt er.
    »Aber es muss … Spuren gegeben haben.« Es ist das vorsichtigste und neutralste Wort, das mir einfällt für das, was ich meine. Ich habe Berichte über den Fall gelesen, und man kann es kaum ertragen, auch nur daran zu denken , was ihrem Kind angetan wurde. »Wenn irgendetwas erhalten geblieben ist, könnte man die Tests auch jetzt noch durchführen.«
    Samantha Chase blickt auf den Boden, als wollte sie vor diesen Gedanken flüchten. Ihr Mann runzelt die Stirn und scheint einen Augenblick nicht mehr weiter zu wissen, vielleicht weil er verlegen ist oder sogar wütend über das, was er mir zu sagen hat. »Es ist einfach unbegreiflich, aber offenbar wurde rein gar nichts aufbewahrt. Ich habe in den Achtzigerjahren nachgefragt, als ich zum ersten Mal etwas über DNA-Profile gelesen habe. Ich konnte kaum glauben, was man mir sagte. Es ist schon richtig, dass niemand vorhersehen kann, welche technischen Durchbrüche es in zehn oder fünfzehn Jahren geben mag, und man kann nicht auf alles vorbereitet sein. Aber man sollte doch meinen, im Fall eines ungelösten Verbrechens …«
    Er schüttelt den Kopf und lässt den Satz, wenn auch nicht seine Bedeutung, unvollendet.
    »Also hat niemand Brendan Hunt mit dem Mord an Ihrer Tochter in Verbindung gebracht«, sagte ich nach einer kleinen Pause.
    »Die Frage hat sich nie gestellt, weil sie niemandem in den Sinn gekommen ist. Mein Gott, er war doch noch ein Kind.«
    »Ich habe so ein Gefühl, dass seiner Mutter dieser Gedanke sehr wohl gekommen sein könnte«, sage ich, »obwohl sie es nie eingestehen würde, nicht einmal sich selbst.«
    Keiner sagt etwas. Dann bemerkt Samantha Chase: »Wenn das der Fall ist, könnte es einiges erklären. Über Judith, meine ich.«
    Wieder wechselt sie einen Blick mit ihrem Mann, eine stumme Verständigung. Er nickt zustimmend zu dem, was sie gerade gesagt hat.
    »Immerhin, Miss Freeman …«, sagt er und fügt dann einen Nachgedanken hinzu: »Julia, wenn ich Sie so nennen darf …«
    »Aber gern«, entgegne ich und bin erleichtert, die Förmlichkeiten ablegen zu können.
    »Wissen Sie, Julia, ich wäre niemals, in meinen wildesten Träumen nicht, auf solch eine Idee gekommen wie die, die Sie gerade angedeutet haben. Keiner von uns beiden. Aber im Licht dessen, was Sie uns erzählt haben …«
    Wieder lässt er den Satz unbeendet, wenn auch der Gedanke vollständig ist.
    »Ich habe keinen Beweis«, sage ich. »Und offenbar sind die Chancen nicht sehr groß, jetzt noch Beweise zu finden. Aber ich danke Ihnen sehr, dass Sie mich angehört haben, und …«
    Plötzlich kann ich nicht mehr weiterreden. Eine Woge der Bedrücktheit und Hoffnungslosigkeit schlägt über mir zusammen. Wie hatte ich mich der Illusion hingeben können, letztendlich etwas zu finden? Irgendein lange vergessenes Detail, das mich zu der einen Entdeckung führen würde, die alles verändert? Nun scheint es, dass ich gescheitert bin. Die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, ist nicht zu bewältigen.
    Ich muss jetzt gehen, und zwar schnell, bevor ich die Beherrschung verliere. Diese Menschen brauchen meine Tränen nicht. »Ich habe sie jetzt lange genug aufgehalten«, sage ich, muss mich aber räuspern und heftig schlucken, um die Worte überhaupt hervorzubringen.
    Samantha Chase legt ihre Hand auf meine. »Bleiben Sie noch«, sagt sie. »Sie müssen mit uns zu Abend essen.«
    »Sie sind sehr freundlich, aber ich …«
    »Nein, wirklich. Wir möchten es sehr gerne. Bitte bleiben Sie.«
    Plötzlich begreife ich, wie sehr auch ich es möchte. »Ich danke Ihnen«, sage ich leise, beinahe flüsternd. Meine Augen brennen. Verdammt!
    Aber ich halte durch. Es wird mir gut gehen.

58
    Beim Abendessen fragt mich Warren Chase, was ich mache, wenn ich nicht damit beschäftigt bin, Teilzeitdetektivin zu spielen, auch wenn
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