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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium
Autoren: David Ambrose
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er es nicht mit diesen Worten sagt.
    »Ich bin Krankenschwester«, antworte ich.
    Sie nicken zustimmend, wie Menschen es oft tun, wenn sie das hören. Doch ein besorgter Ausdruck legt sich auf Samantha Chases Gesicht.
    »Das muss Sie ja eine Menge Geld kosten – die Reise, die Nachforschungen und alles, was Sie sonst noch unternommen haben. Werden Sie von jemandem unterstützt?«
    »Nein. Ich habe in letzter Zeit zusätzlich ein paar private Pflegeaufträge übernommen, die gut bezahlt werden.«
    »Und Ihre Mutter?«, will Warren Chase wissen. »Sie wohnen bei ihr, sagten Sie. Wie wird sie mit alledem fertig?«
    Sie hören mitfühlend meiner eher banalen Aufzählung des Offensichtlichen zu – dass das Leben für die Frau eines Mörders nicht einfach ist, eines Mannes, den die Presse »Monster aus dem Höllenhaus« getauft hat. Nachdem mein Vater festgenommen worden war, ging die Firma meiner Mutter den Bach runter. Ihre Kunden hatten sich in weniger als einer Woche verdünnisiert, jeder von ihnen händeringend und mit Entschuldigungen und Mitleidsbekundungen – was aber nichts daran änderte, dass niemand mehr mit dem Namen Freeman in Verbindung gebracht werden wollte, wie indirekt auch immer. Mutter musste das Haus in Saracen Springs verkaufen, und wir zogen in einen Vorort von Philadelphia – nahe genug bei dem Gefängnis, in dem mein Vater einsaß, sodass wir ihn besuchen konnten, ohne uns finanziell zu übernehmen. Mutter fand Arbeit als freiberufliche Buchhalterin für mehrere Firmen, aber wann immer unsere Geschichte enthüllt wurde – was unweigerlich der Fall war –, wurde sie stillschweigend nicht mehr weiterbeschäftigt. Eine Zeit lang saß sie in einem Supermarkt an der Kasse, und in den letzten drei Jahren hat sie für eine Reinigungsfirma gearbeitet. Sie gehört zu einer Putzkolonne, die regelmäßig zwischen zehn Uhr abends und sechs Uhr morgens die Büros einer großen Versicherungsgesellschaft reinigt. An den Wochenenden verbringen wir so viel Zeit wie möglich miteinander und besuchen dann manchmal ihre Familie. Sie hat keine Freunde, abgesehen von einigen der Frauen, mit denen sie arbeitet. Die meisten sind Mexikanerinnen, zwei stammen aus Osteuropa.
    »Und Sie?«, fragt Samantha Chase. »Hatten Sie Probleme in der Schule?«
    »Einmal musste ich die Schule wechseln«, antworte ich, »als die Anpöbeleien und Belästigungen zu schlimm wurden. Aber das war nur in der ersten Zeit nach dem Prozess so. Später wurde es besser. Freeman ist kein allzu ungewöhnlicher Name. Die Leute haben nicht immer von selbst die Verbindung hergestellt.«
    Es ist fast zehn, als ich gehe. Warren Chase hat darauf bestanden, mir ein Taxi zu rufen, das trotz meines Widerspruchs bereits über ein Konto bei Chases Firma bezahlt ist. An der Tür nehmen beide mich in den Arm. »Also, vergessen Sie nicht«, sagt Warren und legt mir mit ausgestreckten Armen die Hände auf die Schultern, »wenn wir Ihnen irgendwie helfen können, egal wie, müssen Sie es nur sagen.«
    »Ja, bitte. Wir meinen es wirklich ernst damit«, fügt seine Frau hinzu.
    »Vielen Dank«, sage ich und fühle, wie mir wieder Tränen in die Augen steigen, und ich weiß, dass ich gehen muss, bevor ich wirklich losweine. »Ich werde daran denken.«
    »Und lassen Sie unbedingt von sich hören«, sagt Warren.
    »Ganz bestimmt«, verspreche ich.
    Ich bin für das Taxi dankbar, denn ich bin müder, als mir bewusst gewesen ist. Auch liegt mein Hotel in einem Stadtviertel, wo mir nachts die Atmosphäre nicht gefällt. So, wie der Taxifahrer beschleunigt, nachdem er mich abgesetzt hat, nehme ich an, dass es ihm nicht anders geht. Ich gehe rasch die drei, vier Stufen zum Hoteleingang hinauf und strecke gerade die Hand nach der Klingel aus, um den Nachtportier zu rufen, dass er mir die Tür öffnet, als ich mehr spüre als sehe, dass jemand mich beobachtet. Ich blicke über die Schulter, was wahrscheinlich ein Fehler ist: Ich sollte den Unbekannten ignorieren, den Klingelknopf drücken und mich drinnen in Sicherheit bringen.
    Die Straße ist nur stellenweise beleuchtet, und ich kann lediglich die Silhouette eines Mannes erkennen. Er ist schlank, nicht sehr groß und scheint einen langen Mantel zu tragen. Als ich zu ihm blicke, kommt er einen Schritt nach vorn.
    »Miss Freeman?«, fragt er.
    »Ja?«, frage ich misstrauisch zurück, erstaunt, meinen Namen zu hören.
    »Julia Freeman?«
    »Ja.«
    Meine Hand ist immer noch ausgestreckt, um zu klingeln, doch aus
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