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Mysterium

Mysterium

Titel: Mysterium
Autoren: David Ambrose
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zwischen die Schulterblätter gerammt wird.
    Natürlich geschieht nichts dergleichen, und ich habe auch nicht ernsthaft damit gerechnet. Dennoch, der Weg zum Aufzug ist lang, und ich bin ebenso erleichtert wie enttäuscht, als ich mich wenige Minuten später auf der Straße wiederfinde.

57
    Ich gehe am Seeufer entlang. In der Luft liegt eine seltsame Stille, als ob die Natur den Atem anhält und voller Boshaftigkeit darauf wartet, den Sturm zu entfesseln, der bald kommen muss. Je mehr ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass Brendan Hunts Mutter etwas verbirgt oder zumindest irgendetwas vermutet, das sie verborgen hält. Es war die Art und Weise, wie sie reagiert hat, als ich den Tod ihrer Tochter mit dem Tod von Naomi Chase in Verbindung brachte. Sie war über diese Verbindung nicht überrascht gewesen, nur wütend und bestürzt, dass ich sie entdeckt hatte. In all den Jahren, in denen ich versucht habe, alles über Brendan Hunt herauszufinden, was ich konnte, war mir nichts so verdächtig erschienen wie die zeitliche Nähe des Todes dieser beiden Mädchen, als er noch ein Junge war.
    Ich bin auf dem Weg zu Samantha und Warren Chase, Naomis Eltern. Sie haben freundlich auf meinen Brief geantwortet und sich bereit erklärt, mich zu treffen, und sie waren sehr hilfreich am Telefon, als ich sie angerufen habe, um einen Termin abzusprechen. Ich überprüfe noch einmal ihre Adresse auf dem Stadtplan, den ich gekauft habe. Ich überschlage, dass ich genug Zeit habe, um zu Fuß zu gehen, sodass ich das Taxigeld sparen kann. Aber ich muss langsam gehen; ich möchte nicht von der Hitze gerötet und schwitzend bei ihnen auf der Schwelle stehen.
    Es ist mein erster Besuch in Chicago. Es ist eine schöne Stadt, und die Hochhäuser im Zentrum funkeln wie riesige Schmuckkästen, die sich der Sonne öffnen. Ich wünschte, ich hätte Zeit, mir alles anzuschauen und es richtig kennen zu lernen. Vielleicht werde ich das eines Tages nachholen. Vielleicht werde ich eines Tages für viele Dinge Zeit haben – zum Beispiel, mein eigenes Leben zu leben, wie Mrs. Hunt mir aus eigenem Interesse nahe gelegt hat.
    Auch mein Vater hat mir diesen Rat mehr als einmal gegeben. Ich musste ihm versprechen, mein Leben nicht mit dem Versuch zu vergeuden, seinen Namen reinzuwaschen. Aber ich werde natürlich genau das tun. Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, eingesperrt hinter dieser gläsernen Trennwand, weiß ich, dass ich nicht anders kann. Vater ist im Gefängnis eigentlich nicht alt geworden, vielmehr ein Mann ohne Alter. Seine Haut spannt sich über den Knochen, und sein Haar ist grau und kurz geschnitten. Er treibt viel Sport, weil es sonst so wenig anderes zu tun gibt. Er ist jetzt siebenundfünfzig und hat einen schlanken, durchtrainierten Körper, was bei vielen Lebenslänglichen zu beobachten ist.
    Die Chases wohnen in einem großen Haus im Western-Stil an einer breiten Allee. Auch wenn ich nur wenig über die Architektur in Chicago gelesen habe, so kann ich doch den Einfluss von Frank Lloyd Wright erkennen. Es gibt großen Reichtum in dieser Stadt, und ich weiß, dass die Familie Chase, wie die Hunts, ihren Anteil daran genossen hat.
    Ein Hausmädchen öffnet die Tür, eine Puertorikanerin, nehme ich an. Sie lächelt freundlich und bittet mich, ihr zu folgen. Ich werde in einen offenen Wohnbereich geführt, dessen eine Seite ganz aus Glas besteht und den Blick auf einen umschlossenen Garten mit einem felsigen Wasserfall und sattgrünen Moosen und Farnen gewährt; hier und da sind leuchtende bunte Farbtupfer in dem tiefen Grün zu sehen. Warren Chase steht dort und erwartet mich. Er ist groß, leger gekleidet mit natürlicher Eleganz. Ich ergreife seine ausgestreckte Hand.
    »Nochmals vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben, mit mir zu sprechen.«
    »Keine Ursache. Sie sind herzlich willkommen.« Er muss in den Siebzigern sein und wirkt wie ein pensionierter Hochschullehrer, nicht wie der Manager aus der Luftfahrtindustrie, der er gewesen ist. »Meine Frau wird gleich zu uns kommen«, sagt er. »Nehmen Sie bitte Platz.«
    Doch er hat gesehen, wie mein Blick über die Familienfotos schweift, die in der Nähe aufgestellt sind. Ich weiß, dass sie außer Naomi noch zwei weitere Kinder haben, einen älteren Sohn und eine jüngere Tochter, die bereits eigene Kinder haben. Er nimmt ein Foto nach dem anderen in die Hand, um sie mir zu zeigen und die Namen zu nennen. Zusätzlich gibt es noch wenigstens ein halbes Dutzend Bilder
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