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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung
Autoren: William Gibson
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Zutun in diese Welt gelangt zu sein. Die Elementarform von Basics.
    Was die Leute für konsequenten Minimalismus halten, rührt daher, daß Cayce zu lange den Reaktorkernen der Mode ausge—setzt war. Das hat das Spektrum dessen, was sie tragen kann und will, gnadenlos eingeschränkt. Sie ist buchstäblich allergisch gegen Mode. Sie verträgt nur Sachen, die in jedem beliebigen Jahr zwischen 1945 und 2000 unkommentiert durchgegan-gen wären. Sie ist eine designfreie Zone, eine Ein-Frau—Verweigerungsbewegung, deren spartanische Strenge gelegentlich ihren eigenen Kult hervorzutreiben droht.
    Um sie herum das geschäftige Treiben von Soho, ein Freitag—vormittag, der auf die Lunchzeit zusteuert, auf alkoholbegleitete Mahlzeiten und kontrolliertes Tischgeplauder in all diesen Restaurants. In einem davon, dem Charlie Don’t Surf, werden sie das obligatorische Nachmeetingsmittagessen zu sich nehmen. Aber sie spürt, wie sich vor ihr das nächste JetlagTal auftut, und ihr ist klar, das ist die Welle, die sie jetzt reiten muß: der Serotoninmangel, die Seelenverspätung.
    Sie guckt auf die Uhr und steuert auf das Office von Blue Ant zu, in dem bis vor kurzem noch eine ältere, konventionellere Werbeagentur residierte.
    Der Himmel ist eine leuchtendgraue Schüssel, von aufgedrö-
    selten Kondensstreifen durchzogen, und als sie auf den Knopf drückt, um Blue Ant ihre Ankunft zu vermelden, tut es ihr leid, daß sie ihre Sonnenbrille nicht mit hat.
     
    Sie sitzt jetzt Bernard Stonestreet gegenüber, den sie aus der New Yorker Blue-Ant-Filiale kennt. Er ist blaß und sommersprossig wie eh und je; sein karottenrotes Haar steht empor wie ein Flammenornament von Aubrey Beardsley, was von einer unglücklichen Schlafstellung herrühren könnte, wohl eher aber das Werk eines exklusiven Friseurs ist. Er trägt etwas Schwarzes, das Cayce als einen Anzug von Paul Smith identifiziert, genauer gesagt als Jackett 118 und Hose 11T. Sein Londoner Stil sind offenbar Klamotten im Wert von ein paar tausend Pfund, die allesamt so aussehen, als wären sie nie getragen worden, bevor er letzte Nacht darin geschlafen hat. In New York hingegen sieht er bevorzugt so aus, als ob er von einer ganzen Horde Trendexperten in die Mangel genommen worden wäre. Unterschiedliche kulturelle Parameter.
    Zu seiner Linken sitzt Dorotea Benedetti mit streng zurück—gestriegeltem Haar und einer nerdig-konzentrierten Aura, die wohl geschäftlichen Ernst und Ärger zugleich signalisiert.
    Dorotea, die Cayce von früheren, weniger wichtigen Meetings in New York her flüchtig kennt, ist irgendwas Höheres in der Grafik-Design-Firma Heinzi & Pfaff. Sie ist heute morgen von Frankfurt eingeschwebt, um H&P’s ersten Entwurf für das neue Logo eines der beiden weltgrößten Sportschuhhersteller zu präsentieren. Bigend hat befunden, daß dieses Unternehmen einer tiefgreifenden, aber noch nicht näher spezifizierten Neu-Konzeptionierung seiner Markenidentität bedarf. Der Absatz von Sportschuhen, in der Spiegelwelt »Trainers« genannt, ist im Keller, und die Skater-Schuhe, die eine Zeitlang ihre Nachfolge anzutreten schienen, gehen auch nicht mehr so recht. Cayce selbst hat auf den Straßen die Verbreitung von etwas ausge—macht, das sie im stillen »Urban Survival« -Schuhwerk nennt, und wenn sich dieser Prozeß auch momentan noch auf der Ebene des individuellen Repurposing abspielt, bezweifelt sie doch nicht, daß der Identifizierung die Vermarktung auf dem Fuße folgen wird.
    Das neue Logo soll der Firma den Schub für das neue Jahrhundert geben, und Cayce mit ihrer wertvollen Allergie ist eingeflogen worden, um in persona das zu tun, was ihre Spezia-lität ist. Das erscheint ihr seltsam oder zumindest archaisch.
    Warum keine Telekonferenz? Vielleicht steht ja so viel auf dem Spiel, daß Sicherheit groß geschrieben wird, aber es ist schon eine ganze Weile her, daß sie das letzte Mal geschäftlich aus New York weg mußte.
    Wie auch immer, Dorotea scheint die Sache ernst zu nehmen. Todernst. Vor ihr liegt, vielleicht eine Spur zu sorgsam an der Tischkante ausgerichtet, ein edles graues Pappkuvert mit dem schlichten und gleichzeitig verspielten Logo von Heinzi & Pfaff. Der Verschluss – teuer und altmodisch – besteht aus zwei kleinen braunen Pappknöpfen und einer Kordel.
    Cayce löst den Blick von Dorotea und dem Umschlag, guckt sich um und registriert, daß offenbar eine ganze Menge Neunziger-Jahre-Pfund auf diesen im dritten Stock gelegenen Konfe-renzraum
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