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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung
Autoren: William Gibson
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leer, bis auf eine Packung mit zwei trockenen Weetabix-Pellets und ein paar losen Beuteln Kräutertee. Gähnende Leere im Kühlschrank, Made in Germany, der noch so neu ist, daß es darin nur nach Kälte und langkettigen Polymeren riecht.
    Jetzt, da sie das weiße Rauschen Londons hört, ist ihr klar, daß Damiens Jetlagtheorie stimmt: daß ihre Seele meilenweit hinterherhängt, erst langsam eingeholt wird, an einer geister-haften Nabelschnur, in der längst verschwundenen Wirbelspur ihres Flugzeugs hoch über dem Atlantik. Seelen können sich nicht so schnell fortbewegen, also bleiben sie zurück, und man muß auf sie warten wie auf verlorengegangenes Gepäck.
    Sie fragt sich, ob das mit dem Alter schlimmer wird, die namenlose Stunde noch unendlicher, unwirklicher, das Gefühl dabei noch seltsamer und gleichzeitig weniger interessant.
    Wie betäubt liegt sie hier im Halbdunkel in Damiens Schlafzimmer, unter einem topflappenartig silbrigen Ding, das vom Hersteller garantiert nicht zum Zudecken vorgesehen ist. Aber sie war zu müde, um sich eine Bettdecke zu suchen. Die Laken zwischen ihrer Haut und der schweren Hightech-Tagesdecke sind aus seidigem, weichem Jacquardsatin und riechen schwach nach – Damien vermutlich. Aber nicht schlecht. Eigentlich sogar ganz angenehm; in dieser Situation ist jeder sinnliche Kontakt zu einem Mitsäugetier willkommen.
    Damien ist ein Freund.
    Unsere Steckverbindungen sind nicht kompatibel, würde er
    sagen.
    Damien ist dreißig, Cayce zwei Jahre älter, aber er hat ein sorgsam isoliertes Unreifemodul in sich, etwas Scheues, Dick-köpfiges, das den Geldgebern zuerst unheimlich war. Beide sind sie hervorragend in ihrem Job, und beide haben sie keine Ahnung, warum.
    Wenn man Damien googelt, findet man einen Regisseur von
    Musikvideos und Werbespots. Googelt man Cayce, findet man
    »Coolhunter«, und wenn man genau hinguckt, vielleicht auch noch ein paar Hinweise darauf, daß sie so eine Art »Sensitive«
    ist, eine Wünschelrutengängerin in der Welt des globalen
    Marketings.
    Obwohl das in Wahrheit, sagt Damien, eher so was wie eine
    Allergie ist, eine krankhafte und manchmal sehr heftige Reaktion auf die Semiotik der Warenwelt.
    Damien ist momentan in Rußland; er hat sich vor der Renovierung dorthin geflüchtet, angeblich, um einen Dokumentarfilm zu drehen. Alles, was diese Räume hier halbwegs bewohnt wirken läßt, weiß Cayce, ist dem Wirken einer Produktionsassi-stentin zu verdanken.
    Sie wälzt sich an die Bettkante, macht Schluß mit dieser sinn-losen Schlafparodie. Grabbelt nach ihren Kleidern. Ein schwarzes Fruit-of-the-Loom-T-Shirt, Knabengröße, gründlich geschrumpft, ein dünner grauer Pullover mit V-Ausschnitt, im halben Dutzend von einem Lieferanten für Ostküsten—Privatschulen bezogen, und eine neue schwarze Oversize-501, sorgsam von jedem Markenlogo befreit. An dieser hier sind
    sogar die Knöpfe abgeschliffen worden, von einem verblüfften koreanischen Schlüsseldienst-Typen im Village, vor einer Woche.
    Der Schalter der italienischen Stehlampe fühlt sich fremd an: ein anderer Knipsmechanismus für eine andere Voltzahl, exotischen britischen Strom.
    Sie steht jetzt, steigt in ihre Jeans, richtet sich fröstelnd wieder auf.
    Spiegelwelt. Die Elektrostecker sind riesig, dreipolig, für eine Sorte Strom, mit der in Amerika nur elektrische Stühle betrieben werden. Die Autos sind innen rechts-links-verkehrt; die Telefonhörer haben ein anderes Gewicht, einen anderen Schwerpunkt; die Taschenbuch-Cover sehen aus wie australisches Geld.
    Halogengeblendet, mit schmerzhaft kontrahierten Pupillen,
    blinzelt sie in einen richtigen Spiegel, der an einer grauen Wand lehnt und darauf wartet, aufgehängt zu werden. Erblickt darin eine unkoordinierte schwarzbeinige Marionette, deren strubbli-ges Haar wie eine Klobürste aussieht. Sie schneidet ihr eine Fratze und denkt aus irgendeinem Grund an einen Ex-Freund, der darauf bestand, sie mit Helmut Newtons Aktporträt von Jane Birkin zu vergleichen.
    In der Küche läßt sie Wasser durch einen deutschen Filter in einen italienischen Wasserkocher laufen. Müht sich mit Schal-tern ab, einer am Kocher, einer am Stecker, einer an der Steck-dose. Inspiziert, während das Wasser zum Sieden kommt, geistesabwesend die kanariengelben Laminatschränke. Beutel mit irgendeinem importierten kalifornischen Tee-Ersatz in
    einen hohen weißen Becher. Kochendes Wasser drauf.
    Im Hauptraum findet sie Damiens treuen Cube eingeschaltet, aber auf
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