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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung
Autoren: William Gibson
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Radar sagt ihr sofort, daß es nicht funktioniert. Sie weiß es, ohne zu wissen, warum.
    Dennoch denkt sie kurz an die unzähligen asiatischen Arbei—terinnen, die, wenn von ihr jetzt ein Ja käme, Jahre ihres Lebens damit verbringen würden, eine endlose, stete Flut von Schuhen mit diesem Symbol zu versehen. Was würde dieses kregle Spermium wohl für sie bedeuten? Würde es sich irgendwann in ihre Träume schlängeln? Würden ihre Kinder es mit Kreide an Hauswände malen, noch ehe sie begriffen hätten, daß es ein Markensymbol war?
    »Nein«, sagt sie.
    Stonestreet seufzt. Nicht sonderlich tief. Dorotea steckt den Entwurf in den Umschlag zurück, macht sich aber nicht die Mühe, diesen wieder zu verschließen.
    In Cayces Verträgen über solche Beratungsjobs ist ausdrücklich festgelegt, daß von ihr keinerlei konkrete Kritik oder kreativer Input zu erwarten ist. Sie fungiert lediglich als ein hochspezialisiertes menschliches Stück Lackmuspapier.
    Dorotea nimmt sich eine von Stonestreets Zigaretten, zündet sie an und läßt das Streichholz neben den Aschenbecher fallen.
    »Wie war der Winter in New York?«
    »Kalt«, sagt Cayce.
    »Und traurig? Ist es da immer noch so traurig?«
    Cayce sagt nichts.
    »Und Sie können sich hier zur Verfügung halten«, fragt Dorotea, »während wir wieder ans Zeichenbrett zurückgehen?«
    Cayce überlegt, ob Dorotea weiß, daß diese Wendung im Volksmund »noch mal von vorne anfangen« heißt. »Ich bin zwei Wochen hier«, sagt sie. »Ich hüte die Wohnung von einem Freund.«
    »Urlaub also.«
    »Nicht, solange ich hier mitarbeite.«
    Dorotea schweigt.
    »Muß schwer sein«, sagt Stonestreet hinter verschränkten, sommersprossigen Fingern, aus denen seine roten Haare her—vorlodern wie Flammen aus dem Dach einer Kathedrale, »wenn Sie etwas nicht mögen. Emotional, meine ich.«
    Cayce sieht Dorotea aufstehen und – mit der Silk Cut in der Hand – zu einem Sideboard gehen, um sich ein Glas Perrier einzugießen.
    »Mit mögen hat das nichts zu tun, Bernard«, sagt Cayce und wendet sich wieder Stonestreet zu. »Es ist wie diese Teppichbodenrolle dort drüben: blau oder nicht blau. Ob blau oder nicht, das tangiert mich emotional nicht.«
    Sie fühlt einen Schwall negativer Energie im Rücken, als Dorotea an ihren Platz zurückkehrt.
    Dorotea stellt ihr Wasserglas neben den H&P-Umschlag und drückt ziemlich ungeschickt ihre Zigarette aus. »Ich spreche heute nachmittag mit Heinzi. Ich würde ihn ja gleich anrufen, aber ich weiß, daß er in Stockholm ist, er hat einen Termin bei Volvo.«
    Die Luft erscheint Cayce jetzt total verqualmt; sie verspürt einen Hustenreiz.
    »Es eilt nicht, Dorotea«, sagt Stonestreet, und Cayce hofft, daß das heißt, es eilt ganz fürchterlich.
     
    Das Charlie Don’t Surf ist voll, das Essen kalifornisch ange-hauchte vietnamesische Küche mit mehr als nur der üblichen Prise kolonialfranzösischer Cuisine. An den weißen Wänden hängen riesige Schwarzweiß-Fotos, Großaufnahmen von Zippo-Feuerzeugen aus Vietnamkriegszeiten, alle mit primitiv eingravierten amerikanischen Militärsymbolen, noch primitiveren sexuellen Motiven und Schablonenschriftsprüchen. Abgesehen vom Inhalt der Sprüche und dem pornographischen Touch erinnern sie Cayce an Fotos von Grabsteinen auf Konfö-
    derierten-Friedhöfen, und das Vietnam-Thema läßt darauf schließen, daß das Lokal schon eine ganze Weile existiert.
    Nostalgische Erinnerungen an einen Krieg, den Amerika verloren hat, wären heute wohl kein sehr wahrscheinliches Thema für ein Restaurant.
    HÄTTE ICH EINE FARM IN DER HÖLLE UND EIN
    HAUS IN VIETNAM, ICH WÜRDE BEIDES VERKAUFEN
    Die Feuerzeuge auf den Fotos sind so abgegriffen, verbeult und von Schweiß zerfressen, daß Cayce womöglich der erste Gast ist, der die Inschriften tatsächlich entziffert.
    BEGRABT MICH MIT DEM GESICHT NACH UNTEN,
    DAMIT DIE WELT MICH AM ARSCH LECKEN KANN
    »Er heißt übrigens wirklich ›Heinzi‹ mit Nachnamen«, sagt Stonestreet und gießt Cayce ein zweites Glas von dem kalifornischen Cabernet ein, den sie wider besseres Wissen trinkt. »Es klingt nur wie ein Spitzname. Seine Vornamen sind allerdings längst über Bord gegangen.«
    »Vor Ibiza«, tippt Cayce.
    »Hm?«
    »Sorry, Bernard, ich bin müde.«
    »Diese Pillen. Aus Neuseeland.«
    ES GIBT KEINE SCHWERKRAFT DIE WELT ZIEHT EINEN RUNTER
    »Geht schon wieder vorbei.« Einen Schluck Wein.
    »Die ist schon eine Type, hm?«
    »Dorotea?«
    Stonestreet verdreht die Augen, die
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