Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
mehr epigonaler, ursprungsferner, seelenloser sein kann.
    Hofft sie zumindest. Und dabei hat sie den starken Verdacht, daß Hilfiger genau aus diesem Grunde schon so lange so omni-präsent ist.
    Sie muß raus aus diesem Logo-Labyrinth, dringend. Aber die Rolltreppe zum Ausgang würde sie nur ins Zentrum von Knightsbridge hinausspucken, was ihr im Moment mindestens genauso schlimm erscheint, und außerdem fällt ihr wieder ein, daß sich die Straße zum Sloane Square hinunterzieht, einem weiteren Ballungszentrum all der Dinge, die bei ihr diese Reaktion auslösen. Dort unten ist Laura Ashley, und das kann richtig fies werden.
    Ihr fällt der fünfte Stock dieses Kaufhauses ein: eine Art kalifornischer Markt, Dean & Deluca light, mit einem Restaurant, einem separaten, in bizarrer Modulbauweise konstruierten, automatisierten Sushi-Imbiß in der Mitte und einer Bar, wo es exzellenten Kaffee gibt.
    Koffein hat sie sich noch aufgespart, als Wunderwaffe gegen Serotoninmangel und seltsame Zustände. Dort kann sie hingehen. Irgendwo gibt es einen Lift. Ja, einen schrankgroßen Aufzug, eng, aber perfekt gestaltet. Den wird sie finden und nehmen. Sofort.
    Sie findet ihn. Er kommt, wundersamerweise leer; sie betritt ihn und drückt die 5. »Ist das aufregend«, haucht eine Frauenstimme, obwohl Cayce in diesem senkrecht stehenden Sarg aus Spiegelglas und gebürstetem Stahl eindeutig allein ist. Zum Glück war sie schon mal hier und weiß, daß die körperlosen Stimmen zur Unterhaltung der Kundschaft da sind.
    »Mmmmmm«, schnurrt das dazugehörige Männchen. Ein
    vergleichbares Audio-Environment hat sie bisher erst einmal erlebt, auf der Toilette eines Nobel-Burger-Restaurants am Rodeo Drive, vor Jahren: ein mysteriöser Soundtrack mit Insek-tengesumm. Fliegen, dem Geräusch nach, obwohl das kaum intendiert sein konnte.
    Was diese Designer-Geister hier noch sagen, blendet sie aus, während der Lift wie durch ein Wunder ohne Zwischenstop in den fünften Stock fährt.
    Cayce tritt hinaus in blasses Licht, das durch jede Menge Glas fällt. Weniger lunchende Kunden, als sie in Erinnerung hat. Aber keine Klamotten hier oben, außer an den Leuten und in ihren Hochglanztragetaschen. Hier kann die Schwellung abklingen.
    Cayce bleibt vor einer Fleischtheke stehen: Bratenstücke, ausgeleuchtet wie frischgekürte Medienstars und vermutlich in einem Maße bio, wie sie selber es nie sein wird – von Tieren, die eine natürlichere Ernährung genossen haben, als Stonestreets Frau sie in ihren Interviews propagiert.
    An der Bar ein paar Euromales in dunklen Anzügen mit ihren ewigen Zigaretten.
    Sie tritt an den Tresen, macht den Barmann auf sich aufmerksam.
    » Time out? « fragt er mit leicht gerunzelter Stirn. Unter bra-chial gestutztem Haar beäugt er sie aus der Tiefe einer masken-haft-dickrandigen italienischen Brille. Die schwarz gerahmten Gläser erinnern sie an Emoticons, diese Elemente des emotio-nalen Codes Dreijähriger: aus Tastaturzeichen zusammenge-schusterte, auf der Seite liegende Gesichter. Für seine Brille böte sich eine Acht an, für die Nase ein Bindestrich, für den Mund ein Backslash.
    »Bitte?«
    » Time Out. Das Magazin. Sie waren auf diesem Diskussions-podium. Im ICA.«
    Im Institute for Contemporary Arts, bei ihrem letzten Lon—donaufenthalt. Sie und eine Frau von einer Provinzuniversität, Dozentin für die Taxonomie des Trademarking. Nieselregen auf der Mall. Aus dem Publikum der Geruch von feuchter Wolle und Zigaretten. Sie hatte zugesagt, weil sie auf diese Weise ein paar Tage mit Damien verbringen konnte. Er hatte gerade – dank einer Reihe von Werbespots für skandinavische Autos –das Haus gekauft, in dem er sieben Jahre zur Miete gewohnt hatte. Natürlich, der Artikel in Time Out, über eins von diesen Coolhunter-Events.
    »Sie verfolgen auch die Clips.« Seine Augen zwischen den eckigen Klammern aus schwarzem italienischem Plastik verengen sich.
    Damien behauptet immer, halb im Ernst, die Clip-Gemeinde sei der erste echte Geheimbund des neuen Jahrhunderts.
    »Waren Sie dort?« fragt Cayce, durch diesen Verstoß gegen den situativen Kontext aus der Fassung gebracht. Sie ist keines-wegs prominent; von Fremden erkannt zu werden, ist für sie nichts Alltägliches. Aber die Clips haben so eine Art, Grenzen zu überschreiten, sich über die gewohnte Ordnung der Dinge hinwegzusetzen.
    »Mein Freund war da.« Der Barmann guckt auf den Tresen und wischt mit einem makellos weißen Lappen über die Oberfläche.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher