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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung
Autoren: William Gibson
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Zerknabberte Nagelhäute und ein zu weiter Ring. »Er hat mir erzählt, daß er Sie später wieder getroffen hat, auf einer Website. Sie hatten mit jemandem einen Disput über The Chinese Envoy. « Er schaut wieder auf. »Es kann doch kein Mensch ernsthaft glauben, daß er dahinter steckt.«
    Er ist Kim Hee Park, der junge koreanische Regisseur von diesem Art-House-Dauerbrenner, mit dem manche die Clips vergleichen, wobei einige sogar so weit gehen, Kim Park als deren möglichen Urheber ins Spiel zu bringen. Was für Cayce ungefähr so ist, als würde man den Papst fragen, ob er was für die Katharerlehre übrig hat.
    »Nein«, sagt sie entschieden. »Natürlich nicht.«
    »Neues Segment«, flüstert er ihr zu.
    »Wann?«
    »Heute morgen. Achtundvierzig Sekunden. Die beiden.«
    Jetzt ist es, als befänden sich Cayce und der Barmann in einer hermetischen Blase. Kein Geräusch dringt mehr durch. »Sagen sie was?« fragt sie.
    »Nein.«
    »Schon gesehen?«
    »Nein. Jemand hat mir eine SMS geschickt.«
    »Nichts verraten«, warnt ihn Cayce, die sich wieder gefangen hat.
    Er faltet das weiße Tuch zusammen. Schwaden von Gitanes—Rauch driften von den Euromales herüber. »Was zu trinken?«
    Die Blase platzt, die Geräusche sind wieder da.
    »Einen doppelten Espresso.« Sie öffnet ihre DDR-Mappe, kramt nach schwerem Spiegelwelt-Münzgeld.
    Er zapft den Espresso aus einer schwarzen Maschine am anderen Ende der Bar. Dampf zischt. Im Forum ist jetzt sicher schon die Hölle los; wann die ersten Postings eingehen, hängt von Fundort und Verbreitung des neuen Segments und von den Zeitzonen ab. Auch dieser Clip wird sich nicht zurückverfolgen lassen, da er garantiert wieder über eine temporäre Mail-Adresse, eine geborgte IP-Adresse, eine temporäre Handynummer oder irgendeinen Anonymizer ins Netz gelangt ist.
    Sicher haben ihn irgendwelche Clipheads, die permanent das Netz absuchen, irgendwo entdeckt, wo man eine Videodatei hochladen und sie einfach dastehen lassen kann.
    Er bringt ihren Kaffee in einer weißen Tasse mit Untertasse und stellt ihn vor ihr auf die glänzend schwarze Tresenplatte.
    Postiert gleich daneben ein unterteiltes Edelstahlkörbchen mit einer Auswahl aus dem reichhaltigen britischen Zuckersorti-ment. Noch so eine Spiegelwelt-Besonderheit: Hier verwenden sie viel mehr Zucker, und nicht nur in Sachen, wo man damit rechnet.
    Sie hat sechs von den dicken Einpfundmünzen aufeinander—gestapelt.
    »Geht aufs Haus.«
    »Danke.«
    Die Euromales signalisieren, daß sie Getränkenachschub brauchen. Er geht sie bedienen. Er sieht aus wie Michael Stipe auf Steroiden. Sie steckt vier Münzen wieder ein und schiebt die restlichen beiden in den Schatten des Zuckerkörbchens. Kippt ihren doppelten Espresso ungesüßt hinunter und wendet sich zum Gehen. Guckt sich noch mal um: Da steht er und mustert sie streng durch seine schwarzen Parenthesen.
     
    Mit dem Taxi zur U-Bahn Richtung Camden.
    Der Anfall von Tommy-Phobie ist abgeklungen, aber das Wellental hat sich zu horizontlosen Rossbreiten ausgedehnt.
    Sie hat Angst davor, der Flaute ohne Proviant ausgeliefert zu sein. Also auf Autopilot in einen Supermarkt an der High Street, Sachen in den Korb packen. Spiegelwelt-Obst. Kolum—bianischen Kaffee, für die Drückkanne gemahlen. Fettarme Milch.
    In einem nahegelegenen Schreibwarengeschäft mit Schwerpunkt Künstlerbedarf ersteht sie eine Rolle mattschwarzes Bühnenklebeband.
    Am Parkway, nicht weit von Damiens Haus, bemerkt sie einen Zettel an einem Laternenpfahl. Verwaschen monochrom: ein Frame-Grab aus einem der Clips.
    Er sieht sie an wie aus der Tiefe.
    Arbeitet bei Cantor Fitzgerald. Goldener Ehering.
    Nein, das hier ist aus einem der Clips.
     
    Parkaboys Mail enthält keinen Text. Sie besteht nur aus dem Attachment.
    Cayce sitzt vor Damiens Cube, mit der Zwei-Tassen—
    Drückkanne, die sie am Parkway erworben hat. Es duftet nach starkem kolumbianischem Kaffee. Sie sollte das Zeug nicht trinken; es sorgt eher für Albträume, als daß es die Müdigkeit abwehrt, und sie weiß, sie wird wieder um diese gräßliche Zeit aufwachen, aufgeputscht vom Koffein. Aber für diesen neuen Clip muß sie wach sein. Voll und ganz da.
    Ein unbekanntes Attachment zu öffnen ist inzwischen immer ein Schwellenzustand.
    Parkaboy hat sein Attachment mit #135 betitelt. Einhundertvierunddreißig bisher bekannte Fragmente – wovon? Von einem Work in Progress? Einem Film, der seit Jahren fertig ist und jetzt aus irgendeinem Grund
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