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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung
Autoren: William Gibson
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verwandt wurden; die konvexen Holzwände erinnern an die Erster-Klasse-Lounge eines Transatlantik-Zeppelins. Sie bemerkt Schraubanker im hellen Furnier der konvexen Wand, da, wo einst das Logo der Vorgänger-Agentur hing, und Früh—warnzeichen einer Renovierungsaktion: ein Gerüst im Flur, wo jemand Leitungen untersucht hat, und neue, plastikumhüllte Teppichbodenrollen, wie ein Stapel Baumstämme aus einem Polyesterwald.
    Möglich, daß Dorotea sie heute in Sachen Minimalismus ausstechen wollte, befindet Cayce. Wenn ja, hat es nicht geklappt. Doroteas Outfit will, bei aller scheinbaren Schlichtheit, immer noch mehrerlei auf einmal sagen, und das in mindestens drei Sprachen. Cayce hat ihre Buzz-Rickson-Jacke über die Stuhllehne gehängt und ertappt Dorotea beim Hingucken.
    Die Rickson ist eine museumstaugliche Nachbildung der U.S.
    Ma-1-Fliegerjacke, einer Ikone, da sie zu den funktionalsten Kleidungsstücken gehört, die das vergangene Jahrhundert hervorgebracht hat. Doroteas schwelender Neid wird vermutlich durch die Erkenntnis angefacht, daß Cayces MA-1 alle minimalistischen Bestrebungen mühelos übertrumpft, denn die Rickson wurde von japanischen Fanatikern kreiert, deren Passion nichts, aber auch gar nichts mit Mode zu tun hatte.
    So weiß Cayce beispielsweise, daß die charakteristisch gekräuselten Ärmelnähte ursprünglich von Vorkriegsnähmaschi—nen herrührten, die gegen das rutschige neue Nylon rebellierten. Die Hersteller der Rickson haben dieses Merkmal noch um eine Winzigkeit übertrieben und hundert ähnlich minimale Dinge getan, so daß ihr Produkt letztlich, auf sehr japanische Art, die Frucht eines religiösen Akts ist. Die Rickson ist eine Imitation, die irgendwie echter ist als das Original. Sie ist mit Abstand das teuerste Kleidungsstück, das Cayce besitzt, und praktisch unersetzbar.
    »Stört Sie doch nicht?« Stonestreet zieht ein Päckchen Zigaretten heraus, eine Sorte namens Silk Cut, die Cayce, immer schon Nichtraucherin, für das britische Äquivalent zur japanischen Mild Seven hält. Beides Pflichtmarken für Kreative.
    »Nein«, sagt Cayce. »Nur zu.«
    Auf dem Tisch steht tatsächlich ein Aschenbecher, klein, rund und makellos weiß. In Amerika wäre das bei einem Business-Meeting ein ähnlich archaisches Requisit wie einer von diesen flachen, filigransilbernen Absinthlöffeln. (Aber in London kann man garantiert auch auf so was stoßen, obwohl es ihr selber noch nicht passiert ist.) »Dorotea?« Er bietet ihr eine Zigarette an, Cayce aber nicht. Dorotea lehnt dankend ab.
    Stonestreet steckt sich ein Filterende zwischen die präzise—beweglichen Lippen und zieht eine Schachtel Streichhölzer heraus, die er wohl gestern abend in irgendeinem Restaurant akquiriert hat. Das Streichholzschächtelchen wirkt fast so teuer wie Doroteas graues Kuvert. Er zündet sich die Zigarette an.
    »Sorry, daß wir Sie dafür rüberholen mußten, Cayce«, sagt er.
    Das abgebrannte Streichholz fällt mit einem leisen keramischen Klick in den Aschenbecher.
    »Ist ja mein Job, Bernard«, sagt Cayce.
    »Sie sehen müde aus«, sagt Dorotea.
    »Fünf Stunden Zeitunterschied.« Sie lächelt, aber nur mit den Mundwinkeln.
    »Haben Sie mal diese neuseeländischen Pillen probiert?«
    fragt Stonestreet. Cayce fällt wieder ein, daß seine Frau, einst die Naive in einem Akte X-Abklatsch, inzwischen eine offenbar recht erfolgreiche, irgendwie homöopathische Kosmetikserie kreiert hat.
    »Jacques Cousteau hat mal gesagt, der Jetlag sei seine Lieb—lingsdroge.«
    »Also?« Dorotea schaut ostentativ auf die H&P-Mappe.
    Stonestreet bläst einen Rauchstrom aus. »Tja, vielleicht sollten wir mal.«
    Beide sehen Cayce an. Cayce sieht Dorotea in die Augen.
    »Meinetwegen können wir.«
    Dorotea wickelt die Kordel von dem zu Cayce hin gelegenen Pappknopf. Lüpft die Klappe. Greift mit Daumen und Zeigefinger in das Kuvert.
    Stille.
    »Tja, dann«, sagt Stonestreet und drückt seine Silk Cut aus.
    Dorotea zieht ein quadratisches Stück Zeichenkarton aus dem Umschlag. Hält es an den oberen Ecken zwischen ihren perfekt manikürten Zeigefingerspitzen und präsentiert es Cayce.
    Darauf ist ein Geschlängel in schwarzer Japantusche, mit breitem Schreibpinsel hingeworfen. Herrn Heinzis höchsteige—nes Markenzeichen, wie Cayce weiß. Für sie ähnelt das Ganze am ehesten einem jener psychedelischen Spermien, wie sie der amerikanische Underground-Zeichner Rick Griffin um 1967 zu Papier brachte. Ihr unerklärliches inneres
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