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Mustererkennung

Mustererkennung

Titel: Mustererkennung
Autoren: William Gibson
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wird.
    Schließlich geht sie in Damiens frisch renoviertes Bad. Es kommt ihr vor, als ginge sie sich hier abduschen, um eine unter sterilen Bedingungen aufbewahrte NASA-Gesteinsprobe zu besichtigen, oder als träte sie gerade aus einem Tschernobyl-Szenario heraus, um sich von gummiverpackten Sowjettechni-kern aus dem Bleianzug schälen und anschließend mit langstieligen Bürsten abschrubben zu lassen. Die Duscharmaturen sind mit den Ellbogen zu bedienen, damit die frisch geschrubbten Hände steril bleiben. Sie zieht Pullover und T-Shirt aus und benutzt ganz einfach die Hände, um die Dusche anzustellen und die Temperatur zu regulieren.
     
    Vier Stunden später liegt sie in einem Edelhinterhof namens Neal’s Yard im Pilates-Studio auf dem Reformer, der Wagen von Blue Ant wartet draußen auf der Straße. Der Reformer ist ein langes, niedriges, diffus bedrohlich und weimardeutsch aussehendes Möbel, in dem sich Zugfedern verbergen. Sie liegt auf dem Rücken, die Füße auf der Stange am Fußende in V-Position. Die gepolsterte Liegefläche fährt auf den Winkeleisen-schienen des Rahmens vor und zurück, wobei die Federn leise schnarren. Jeweils zehnmal, mit den Zehen, mit den Fersen …
    In New York macht sie das in einem Fitness-Center, wo viele Tanzprofis hingehen, aber hier in Neal’s Yard ist sie heute morgen anscheinend die einzige Kundin. Der Laden hat wohl
    erst kürzlich aufgemacht, und vielleicht ist so was hier ja auch noch nicht so populär. In der Spiegelwelt haben sie es immer noch mit archaischen Drogen, denkt sie: Die Leute rauchen und trinken, als ob das gesund wäre, und die Begeisterung für Ko-kain scheint mehr oder minder ungebrochen. Heroin, hat sie gelesen, ist hier billiger denn je, weil der Markt noch von der ersten Dumping-Welle mit afghanischem Opium über-schwemmt ist.
    Jetzt ist sie mit den Zehen fertig und geht zu den Fersen-
    übungen über, reckt den Hals, um sich zu vergewissern, daß ihre Fußhaltung korrekt ist. Pilates gefallt ihr, weil es nicht so meditativ ist, wie sie sich Yoga vorstellt. Hier muß man hinguk-ken und aufpassen.
    Die Konzentration hilft gegen die Unruhe, die sie jetzt verspürt, dieses Vorfeld-Flattern, das sie schon eine ganze Weile nicht mehr gehabt hat.
    Sie ist hier, weil Blue Ant sie dafür bezahlt. Vergleichsweise winzig, was den festen Mitarbeiterstamm angeht, global prä-
    sent, eher postgeographisch als multinational, hat sich diese Agentur von Anfang an als schnelle, hocheffiziente Lebensform in einem Werbebiotop voller schwerfälliger Herbivoren profi-liert. Wenn nicht gar als nicht-kohlenstoffbasierte Lebensform, entsprungen der glatten, ironischen Stirn ihres Gründers Hubertus Bigend, der offiziell Belgier ist und aussieht wie Tom Cruise auf einer Diät aus Jungfrauenblut und Trüffelpralinen.
    Das einzige, was Cayce an Bigend gefällt, ist, daß er anscheinend gar nicht auf die Idee kommt, sein Name könnte jemals auf irgendwen lächerlich wirken. Sonst fände sie ihn noch unerträglicher.
    Diese Aversion ist persönlicher, wenn auch vermittelter Natur.
    Noch immer bei den Fersenübungen, guckt sie auf ihre
    Armbanduhr, den koreanischen Klon einer klassischen Casio
    G-Shock, dessen Plastikgehäuse mit einem Fetzchen japanischem Mikroschleifpapier logofrei geschmirgelt wurde. In fünfzehn Minuten soll sie im Blue-Ant-Büro in Soho sein.
    Sie drapiert zwei schlaffe grüne Schaumstoffpolster über die Fußstange, bringt sorgsam die Füße in Position, zieht die Fersen an, als würde sie unsichtbare Stilettos tragen, und beginnt mit ihren zehn Greifübungen.
     
    2 DAS

LUDER
    Die CPUs für das Meeting, die sich jetzt in der Schaufenster-scheibe eines Mod-Ladens in Soho spiegeln, sind: ein frisches Fruit-of-the-Loom-T-Shirt, ihre schwarze Buzz-Rickson-MA-1, ein anonymer schwarzer Rock aus einem Secondhand-Laden in Tulsa, die schwarze Leggings, die sie zum Pilates anhatte, schwarze Harajuku-Schulmädchenschuhe. Ihr Handtaschen-
    äquivalent ist eine Dokumentenmappe aus schwarz beschichteter DDR-Pappe, von eBay – wenn nicht original Stasi, dann doch zumindest auf der gleichen Linie.
    Sie sieht ihre grauen Augen, blaß in der Scheibe, dahinter Ben-Sherman-Hemden und Fishtail-Parkas, Manschettenknöpfe mit dem runden R.A.F.-Emblem, das in einem früheren Krieg die Tragflächen der Spitfires kennzeichnete.
    CPUs. Cayce-Pollard-Units. So nennt Damien die Sachen, die sie trägt. CPUs sind schwarz, weiß oder grau und scheinen im Idealfall ohne menschliches
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