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Muss ich denn schon wieder verreisen?

Muss ich denn schon wieder verreisen?

Titel: Muss ich denn schon wieder verreisen?
Autoren: Evelyn Sanders
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    Angefangen hatte alles mit den Blumenzwiebeln oder, um es korrekt botanisch auszudrücken, mit den Rhizomen. Aus denen waren nämlich immer schwarzgraue Blüten gekommen, obwohl Irene doch ausdrücklich rosafarbene geordert hatte. »Entweder kann er meine Schrift nicht entziffern, oder sein Deutsch ist ähnlich umfassend wie mein Hebräisch«, hatte sie vermutet und ihre nächste Bestellung der Oncocyclus Susiana mit pinkfarbenen Filzstiftstrichen umrahmt. »Ich kann bloß Shalom und Masel tow.«
    »Für eine Geschäftskorrespondenz nicht gerade viel«, bestätigte ich. »Was heißt das überhaupt?«
    »Guten Tag.«
    »Das weiß ich auch. Ich meine doch das andere.«
    »Masel tow? Ich glaube, das läßt sich überall verwenden. Damit kannst du jemandem zum Geburtstag gratulieren, gute Reise wünschen oder ihn trösten, wenn er von der Leiter gefallen ist und sich das Bein gebrochen hat. Es hätte ja auch sein Hals sein können.«
    »Also ein Wort mit vielfältiger Bedeutung. Na dann: Masel tow!« Ich zeigte auf den inzwischen zugeklebten und frankierten Luftpostbrief. »Mögen die künftigen Susianas endlich in rosa Schönheit erblühen!«
    »Das tun sie vermutlich erst dann, wenn ich dem Kerl persönlich auf die Bude rücke und mir die Knollen selber abhole. Dabei weiß ich bloß, daß er seine Gärtnerei in einem Kibbuz irgendwo beim See Genezareth hat.«
    Wenigstens davon hatte ich schon mal etwas gehört. »Bißchen weit für einen Wochenendausflug.«
    »Eben! Und deshalb werde ich meinen Kunden klarzumachen versuchen, daß die Farbangabe im Prospekt ein Irrtum meinerseits war und dieses exotische Gewächs nur dunkelgrau blüht. Frau Meyer-Sinderfeld wird das allerdings nicht gefallen. Sie hat nämlich rosafarbene Polster.«
    »Sie hat was?«
    Irene ließ sich in ihren Schreibtischsessel sinken und griff nach einer Zigarette. »Meine zum Teil sehr elitäre und häufig auch leicht überkandidelte Kundschaft legt manchmal Wert auf Pflanzen, die mit dem Ambiente von Wintergarten und Terrasse harmonieren. Frau Meyer-Sinderfeld lebt in einer Pralinenpackung – weißlackierte Rattanmöbel mit roséfarbenen Auflagen; Betonung auf der zweiten Silbe!«
    Langsam begriff ich. »Und dazu braucht sie das passende Gemüse? Warum nimmt sie keine Petunien?«
    »Die sind ihr zu ordinär.«
    Ich dachte an den Wildwuchs in unserem Garten, in dem sich ein paar mutige Dahlien gegen Klee und Löwenzahn zu behaupten versuchen, und an die von Weinlaub umrankte Terrasse, auf der ein paar Kübel mit den Produkten irgendwelcher Samentüten stehen. Nicht mal Sohn Sven mit seinem Gärtnerdiplom kann alle Gewächse identifizieren. Sollte es tatsächlich Leute geben, die ihre Blumen auf die Farbe ihrer Sonnenliege abstimmen? »Was machst du, wenn jemand braune Möbel hat?«
    »Den Fall hatte ich schon«, sagte Irene lachend. »Herr Dr. Dr. Gutermund bevorzugt tabakfarbenes Mobiliar, angefangen von den Bodenfliesen bis zur Markise. Jetzt hat er neben seiner Terrasse ein großes Spalier mit Kiwipflanzen. Und ab mittags keine Sonne mehr!« Sie griff nach dem Stapel Geschäftspost und stand auf. »Ich muß den Kram noch zum Briefkasten bringen. Kommst du mit?«
    »In drei Stunden geht mein Flieger«, antwortete ich, »und ich habe noch nicht mal gepackt.«
    Während Irene den in Ehren – nein, nicht ergrauten, das war er von Natur aus – angerosteten Kombi aus der Parklücke zwischen den beiden Eichen bugsierte, stieg ich die Treppe ins obere Stockwerk hinauf, vergaß auch nicht, die auf der untersten Stufe abgelegten und auf den Weitertransport wartenden Sachen aufzusammeln (diesmal waren es nur zwei Bücher, eine Glühbirne und eine leere Blumenvase), lud oben alles auf dem Korbtisch ab und betrat das Gästezimmer.
    Wer häufig mehr oder weniger freiwillig bei Verwandten oder Bekannten übernachten muß, weiß, wie die sogenannten Gästezimmer meistens aussehen. In der Regel wird das ehemalige Kinderzimmer, also der kleinste Raum, dazu ernannt, aus dem Sohn oder Tochter schon seit Jahren ausgezogen sind und das vollgestopfte Regal mit Plüschtieren, Comic-Heften, Federballschlägern und den Erzeugnissen des Werk- beziehungsweise Handarbeitsunterrichts bei Gelegenheit mal abholen wollen. Sie sind bloß noch nicht dazu gekommen. Sein Bett allerdings hat der Nestflüchter beim Auszug mitgenommen, weshalb an seine Stelle das eichene Monstrum von Oma getreten ist, das man damals bei der Wohnungsauflösung nicht loswerden konnte. Und für den
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