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Muss ich denn schon wieder verreisen?

Muss ich denn schon wieder verreisen?

Titel: Muss ich denn schon wieder verreisen?
Autoren: Evelyn Sanders
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Sperrmüll war das gute Stück natürlich viel zu schade gewesen, immerhin sechzig Jahre alt und noch echte deutsche Wertarbeit. Auf dem Bett steht der Korb mit Bügelwäsche, daneben liegen zwei Handtücher für den Gast.
    Im Kleiderschrank, häufig auch ein Erbstück längst verblichener Verwandter und deshalb mit einer fantasievollen Konstruktion aus mehreren Einweckgummis zusammengehalten, weil der Schlüssel fehlt und sonst die Türen immer aufgehen würden, hängt wahlweise die Sommer- oder Wintergarderobe der gesamten Familie. Zwei oder drei leere Kleiderbügel ermöglichen es dem Gast, wenigstens die beiden Blusen und eine der Hosen aus dem Koffer zu holen. Der Rest bleibt drin. Vor dem Fenster steht die Nähmaschine, zugedeckt mit einem alten Tischtuch, hinter der Tür lehnt das Bügelbrett und, wenn man Pech hat, auch noch der Staubsauger, den die Gastgeberin morgens um sieben braucht, weil sie schnell noch die Salzstangenkrümel vom Vorabend beseitigen will, bevor der Gast aufsteht.
    Der ist aber längst wach, denn die ebenfalls sechzig Jahre alte Matratze hat ihm eine sehr unruhige Nacht beschert. Außerdem liegt sein Zimmer zur Straße hinaus, und die führt direkt zur Autobahn.
    Dann gibt es noch das provisorische Gästezimmer, aus dem das vierjährige Kind des Hauses ins elterliche Schlafgemach umquartiert worden ist, dafür aber im Morgengrauen vor der Campingliege des Gastes steht, ihm ein dickes Buch auf den Magen knallt und ihm unmißverständlich klarmacht, daß er jetzt die Geschichte von den drei kleinen Schweinchen vorlesen soll.
    Ich habe schon im Hobbykeller geschlafen und im neben dem Haus abgestellten Wohnwagen, habe auf einem zu kurzen Sofa genächtigt oder auch mal auf einer Luftmatratze, und deshalb bin ich jedesmal aufs neue begeistert, wenn ich zu Irene komme.
    Sie wohnt in Berlin, genauer gesagt in Zehlendorf, in einem schon etwas altersschwachen Haus, das der Stadt gehört und bei Renovierungsarbeiten immer zu kurz gekommen ist. Den letzten Anstrich hat es vermutlich gleich nach der Währungsreform gekriegt, doch die schwärzliche Fassade wird größtenteils von wildem Wein verdeckt. Außerdem liegt es etwas abseits der Straße, wo der alte Baumbestand gnädig den direkten Blick auf das marode Gemäuer versperrt. Drum herum befindet sich ein großer Garten, der vorne verwildert ist, sich hinter dem Haus jedoch zu einer gepflegten Rasenfläche erweitert mit Blumenrabatten und herrlichen alten Bäumen. Überall am Zaun stehen dichte Büsche, die jedem Unbefugten den Einblick in den hinteren Teil des Gartens verwehren. Dachten wir! Als wir aber an einem heißen Sommertag in der Sonne brutzelten und uns zwecks nahtloser Bräunung auch noch der Bikinihöschen entledigt hatten, erklang plötzlich hinter uns eine männliche Stimme: »’tschuldigung, die Damen, aba det Klingeln hat wohl keener jehört, und ick hab’ hier ’nen Einschreibebrief!«
    Betritt man das Innere dieses Hexenhäuschens, dann ist man überrascht. Große hohe Räume bringen die recht eigenwillige Mischung von Ikea und früheren Jahrhunderten voll zur Geltung. Neben der handbemalten Bauerntruhe steht etwas Hochbeiniges mit viel Glas außen und handgeschliffenen Gläsern drinnen; der runde Eßtisch mit den Lehnstühlen stammt aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Der Bauernschrank fürs Geschirr trägt die Jahreszahl 1711, die schwarze Ledergarnitur in der Sitzecke ist knapp zwei Jahre alt. Der wunderschöne Tisch davor hat bereits drei Kriege überdauert, und den kleinen Sekretär im Nebenzimmer mit den Goldbeschlägen hat Irenes Vater schon von seinem Opa geerbt.
    Doch das Mobiliar allein macht nicht das Flair dieses Hauses aus. Die Kleinigkeiten sind es, die jeden Besucher faszinieren. Ein alter Backtrog zum Beispiel, angefüllt mit bunten Steinen, die auf vielen Reisen in vielen Ländern gesammelt worden waren. Oder der wacklige Klavierschemel aus Kaiser Wilhelms Zeiten mit der Suppenterrine aus Meißener Porzellan obendrauf; die Kupferschale mit farbigen Samenkapseln, in einem Fenster leuchtend blaue Glaskugeln, an den Wänden alte Stiche, moderne Drucke und dazwischen auch mal eine spanische Marionettenpuppe.
    Überall stehen Kerzenhalter mit farbigen Kerzen. Im großen aus Sterlingsilber stecken rosa Kerzen, in den gläsernen dunkelblaue, auf einem dreieckigen Beistelltischchen flackert eine dicke honigfarbene Wachskerze, und auf dem Couchtisch haben die Kristalleuchter ihren Stammplatz. Und was das
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