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Muss ich denn schon wieder verreisen?

Muss ich denn schon wieder verreisen?

Titel: Muss ich denn schon wieder verreisen?
Autoren: Evelyn Sanders
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größer werdenden Kundenkreis verschickte. Ein paar Jahre später verkaufte er die Gärtnerei und widmete sich nur noch seiner Zwiebelkollektion, was weniger arbeitsintensiv, dafür um so lukrativer war. Eigene Kreuzungsversuche mit irgendwelchen exotischen Pflanzen sind zwar danebengegangen, doch für seine neue Tulpenzüchtung hat er sogar einen Preis bekommen; die Urkunde hängt im Gästezimmer.
    Inzwischen hatte ich ebenfalls geheiratet, war mit recht aufwendiger Brutpflege beschäftigt, aber wenn ich mal wieder von allem restlos die Nase voll hatte, hängte ich mich ans Telefon und ließ mich moralisch aufrüsten. Nach einer halben Stunde Plauderei über die gesündeste Beschaffenheit von Schulbroten und die zweckmäßigste Behandlung aufmüpfiger Teenager war ich zwar aus meinem Tief nicht herausgekommen, doch ich hatte wenigstens bestätigt gekriegt: Irene ging es auch nicht besser!
    Und dann klingelte eines Morgens das Telefon.
    »Hans ist tot.«
    »Was?«
    »Vor zwei Stunden. Herzinfarkt.«
    Was sagt man in solch einem Fall? Tröstende Worte? Mir fielen keine ein, die nicht banal geklungen hätten. »Soll ich kommen?«
    »Ja, aber nicht jetzt. Ich habe gleich die ganze Verwandtschaft auf dem Hals, dabei möchte ich überhaupt keinen sehen. Komm in ein paar Wochen, wenn ich wieder klar denken kann.«
    Aus den Wochen wurden dann doch einige Monate, weil ich mir das Bein gebrochen hatte und mich selbst sehr trostbedürftig fühlte. Erst im Sommer wurde ich vom Familienverband für reisefähig erklärt.
    Statt einer gramgebeugten Witwe traf ich eine zwar blasse und um etliche Kilo leichtere, aber erstaunlich resolute Irene an. »Natürlich trauere ich immer noch um Hans«, sagte sie, die bei unseren Wiedersehen übliche Sektflasche entkorkend. »Wochenlang habe ich niemanden an mich herangelassen, doch schließlich war es vorbei. Die Trauer ist stiller geworden, und das Leben geht weiter.« Sie füllte die Gläser. »Prosit! Trinken wir auf uns!«
    Dann sprudelte es aus ihr heraus: »Als der ganze Auftrieb vorüber und die lieben Verwandten mit dem üblichen Quatsch ›Wenn du Hilfe brauchst, wir sind immer für dich da‹ endlich abgezogen waren, habe ich notgedrungen den Schreibtisch durchforstet. Da fielen mir Bankauszüge in die Hände, Rechnungen, bezahlte und unbezahlte, Einkommenssteuerbescheide und und und. Zu allem Überfluß hielt auch noch jeden Tag das Postauto vor der Tür und lieferte stapelweise Pakete mit Blumenzwiebeln ab, alles Bestellungen, die Hans noch in Auftrag gegeben hatte. Ich bin beinahe ausgerastet.«
    »Kann ich mir denken«, murmelte ich, um überhaupt etwas zu sagen, denn vorstellen konnte ich mir diese Situation nicht.
    »Dabei hatte ich doch von nichts eine Ahnung«, fuhr sie fort. »Hans war total patriarchalisch. Er hat noch nach der antiquierten Vorstellung gelebt, daß eine Frau ins Kinderzimmer und an den Kochtopf gehört, für geschäftliche Dinge aber zu dämlich ist. Wenn Not am Mann war, durfte ich zwar das Bügeleisen stehenlassen und Blumenzwiebeln verpacken, aber ich habe nie eine Rechnung geschrieben oder einen Scheck eingelöst.«
    »Warum hast du dich denn gegen diese Bevormundung nie gewehrt?«
    Sie zuckte nur mit den Schultern. »Wahrscheinlich hat es mir, gefallen, daß ich mit dem ganzen Kram nichts zu tun hatte. Geld war immer da, keine Reichtümer, aber genug zum Leben, und für zwei oder auch mal drei Reisen pro Jahr hat es ebenfalls gereicht. Vor geistiger Verblödung schützt einen ja die Berliner Kulturszene. Wir sind oft ins Theater gegangen, hatten einen netten Freundeskreis… Ich hab’ doch nie daran gedacht, daß das von heute auf morgen vorbei sein könnte. Gib mal dein Glas rüber, die Flasche ist ja noch halb voll!«
    Während sie die Gläser füllte, erzählte sie weiter: »Nachdem ich die Eckpfeiler unserer Existenz gesichtet hatte, rief ich den Steuerberater an. Der kam auch gleich, und dann haben wir stundenlang über den Papieren gesessen. Es gab nur zwei Möglichkeiten: die Firma verkaufen oder weitermachen. Ich habe mich für letzteres entschieden. Der Schnellkurs in Buchhaltung auf der Volkshochschule war auch ganz hilfreich. Jedenfalls wurstele ich mich schon recht gut durch. Zusammen mit den beiden Roten Socken klappt der Laden sogar fast reibungslos.«
    »Rote Socken?«
    Sie grinste. »Das sind meine beiden Mitarbeiter, junge Kerle noch, aber schwer in Ordnung. Ihrem Alter entsprechend, sind sie total links. Keine Demo, bei der sie
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