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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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erwartete...
    Bel ließ
die Schultern hängen. »Tja, sieht ganz so aus, als steckten wir in einer
Sackgasse.«
    »Ehrlich,
eine Gänsehaut«, sagte ich und sah Frank vor mir, wie er nächtens mit Hilfe
einer Straßensperre oder einer kleinen Mauer einen Überfall verübte.
    Bel seufzte
erschöpft und setzte sich ans Fußende des Bettes. »Charles«, sagte sie, »es ist
ziemlich offensichtlich, dass dir während Mutters Abwesenheit deine neue Macht
zu Kopf gestiegen ist. Ich weiß nicht, wie das enden soll oder ob ich
irgendetwas dagegen tun kann. Aber eins weiß ich: Ich kann so nicht weitermachen.
Wenn wir hier auch nur unter annähernd normalen Umständen zusammen leben
wollen, müssen wir was tun. Ich habe zwar ein schlechtes Gewissen dabei, aber
ich schlage dir folgendes Abkommen vor.«
    »Abkommen?«
    »Ja, ein
Abkommen.« Sie rieb sich mit der Handkante die Augen. »Wenn du dieser Beziehung
ohne weitere Vorwürfe und Anspielungen auf die jüdische Mythologie ihren Lauf
lässt, dann verspreche ich hiermit Folgendes: Falls - falls - Frank
und ich uns trennen sollten, bleibe ich drei Monate lang zu Hause und treffe
mich mit niemandem. Na, wie hört sich das an?«
    »Ziemlich
zynisch«, sagte ich überrascht. »Ich meine, ich will doch bloß, dass du
glücklich bist.«
    »Charles,
sag mir einfach, was ich tun soll, damit du mich in Ruhe lässt.«
    »Hmm«,
sagte ich. Zynisch hin oder her, diese ungewöhnliche Vereinbarung reizte mich
doch sehr. Normalerweise endeten meine Auseinandersetzungen mit Bel damit, dass
sie irgendetwas Zerbrechliches nach mir schleuderte. Die traurige Wahrheit war,
dass sie diesen Kerl auch weiter treffen würde, ob mir das gefiel oder nicht.
Wenigstens erhielt ich so eine Art Entschädigung - und das war etwas, das man
vor ihr normalerweise nie bekam.
    »Einverstanden«,
sagte ich langsam. »Drei Monate und...«
    Ihre Augen
wurden schmal. »Und?«
    »Und du
musst mich einer deiner Freundinnen vorstellen. Laura Treston.«
    »Laura
Treston?«, wiederholte Bel angewidert. »Sie ist nicht meine Freundin. Mit der
habe ich schon seit ... Moment mal, wie kommst du eigentlich so plötzlich auf
die?« Ich machte ein hüstelndes Geräusch und strich ein paar Dellen aus den
Eiderdaunen. Bel stöhnte und zog an ihren Haaren. »Charles, sag bitte, dass du
nicht wieder in meinen alten Jahrbüchern geschnüffelt hast.«
    »Ich
musste was nachschauen«, murmelte ich.
    »Hör auf
damit. Das ist gruselig, einfach krank. Die Fotos sind mindestens vier Jahre
alt, wir waren praktisch noch Kinder damals.«
    »Und wenn
schon«, sagte ich grob.
    »Keiner
von uns sieht heute noch so aus. Ein paar sind sogar schon tot.«
    »Könnten
wir bitte zum Thema zurückkommen?«, sagte ich.
    Bel stöhnte
wieder. »Bitte, Charles, verlang das nicht von mir. Ich will sie nicht anrufen.
Laura ist so was von langweilig. Nach unserer letzten Unterhaltung hab ich mich
eine Woche lang an den Espressotropf gehängt.«
    »Das ist
meine Bedingung«, sagte ich. »Nimm an oder lass es bleiben.«
    Sie
kapitulierte. »Also gut«, sagte sie. »Ich ruf sie morgen an, und du
versprichst, Frank und mich in Ruhe zu lassen. Versprochen?«
    »Wo ist er
jetzt?«, fragte ich. »Doch wohl hoffentlich im Gästezimmer?«
    »Und zwar
ab sofort.«
    »Okay,
okay, versprochen.« Ich streckte die Hand aus, sie schüttelte sie, und damit
war das Abkommen besiegelt. Gähnend verließ sie das Zimmer. Ich ließ meinen
Kopf, in dem ganze Gedankengalaxien herumwirbelten, aufs Kissen fallen.
    Seit
meinen mädchenlosen Schultagen waren Bels Jahrbücher mein geheimes Laster
gewesen. Ich hatte sie aus dem Stapel unter ihrem Bett geklaut und mit in die
Schule genommen, hatte sie meinen Klassenkameraden gezeigt und wurde so der
umjubelte Held des Tages. Wir versammelten uns hinter der Cricketumkleide und
steckten im Glanz der Fotos die Köpfe zusammen. Wir waren fasziniert von der
schieren Masse der Gesichter, Namen und Möglichkeiten, taxierten jedes Mädchen
auf einer Skala von eins bis zehn, spekulierten über ihre sexuellen Vorlieben
und fantasierten uns in unsere dunklen Schlafsäle, wo - schließlich kannten
wir uns ja aus mit Mädchen - unweigerlich Kissenschlachten entbrennen würden
... Kurz darauf wurde es still, und jeder verlor sich in seine ganz
persönliche Träumerei - versunken in ein Foto, in ein Schein-Elysium, in dem
unsere weiblichen Pendants weilten, in schwarzweißen Reihen strahlend oder
finster dreinblickend, entrückt und fremd wie
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