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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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Schneesturm festsaß, bis die Straßen endlich
wieder frei waren und sie wieder nach Hause fliegen konnte, aber zu spät natürlich,
zu spät für die Beerdigung. Vielleicht hatte ja nur jemand die falsche Nummer gewählt,
oder es war Frank gewesen, der mich fragen wollte, ob er mir einen Döner
mitbringen solle, er und Droyd wären jetzt gerade in dem Döner-Laden, oder es
war jemand anders gewesen, Patsy Ole zum Beispiel, die mich fragen wollte, ob
wir uns nicht später noch treffen könnten.
    Wenn Sie
wollen, können Sie sich für diese Alternative entscheiden, für die endlosen
Träume mit von Seetang umschlungenen Armen, für die zahllosen flüchtigen
Bilder von ihr in Wolken, auf Plakatwänden, in den Gesichtern anderer Menschen.
Ich allerdings ziehe folgende Version vor: in der sie nachts wach liegt und
ihre Pläne schmiedet; in der sie befreit ist von ihrem Leben, von ihrem
unaussprechlichen Namen, weggezaubert ins MacGillycuddysche Universum, wo die
Menschen verschwinden, um anderswo wieder aufzutauchen, mit französischem
Akzent und falschen Schnauzbartes wo alles sich permanent verändert und
niemand jemals stirbt.
     
    »Warum
heißt es eigentlich >auf den Hund gekommenNettes. Wenn man völlig abgebrannt ist, dann müsste das doch eher so was heißen
wie >auf die Ratte gekommen<, oder nicht?«
    »Keine
Ahnung«, sagte ich.
    Patsy und
ich gingen am Ufer hinter der Lagerhalle spazieren. Es war spät und unglaublich
kalt, und die Nacht entrollte sich über dem Meer wie eine billige Pappkulisse,
blau und voller Sterne. Patsy hatte noch immer das Schaumgummigeweih aus der
Arbeit auf dem Kopf. Als sie von ihrer großen Tour zurückgekommen war, hatte
sie feststellen müssen, dass ihre Familie in die Fänge eines grässlichen
Tribunals geraten war. Ihr Vater war praktisch jede Woche in Dublin Castle und
musste Fragen nach diesen angeblichen Zahlungen und Treffen beantworten, die
jetzt schon drei oder vier Jahre zurücklagen. Wie sollte er sich daran noch
erinnern? »Solange sind alle Konten erst mal eingefroren, und ich serviere
irgendwelchen Schwachköpfen Kaffee und Panini.«
    »So
schlimm kann das ja nicht sein.«
    »Und ob.
Es ist ein Albtraum. Ein Albtraum, aus dem ich so schnell wie möglich wieder
raus will.« Sie zog an ihrer Zigarette. »Ein Geweih, Charles.
Was ist das für ein Despot, der einen Menschen zwingt, ein Geweih
zu tragen? Nicht mal die Nazis haben die Leute gezwungen, Geweihe zu tragen.
Jemand sollte einen Brief an Amnesty International schreiben.«
    »Die
kümmern sich auch um Hirsche?«
    »Charles,
bitte.«
    »'tschuldige.«
    »Aber
wahrscheinlich legt sich das sowieso bald wieder«, sagte sie und blies eine
lange Rauchwolke in die Luft. »Das ist ja das Schöne an Korruption, stimmt's?
Keiner nimmt's einem richtig übel.«
    »Trotzdem,
das muss doch ein furchtbarer Schlag für dich sein«, sagte ich sanft.
    Nachdenklich
schlug sie die Hände gegeneinander. »Ich weiß, dass Daddy kein Heiliger ist«,
sagte sie. »Aber wer ist das schon, Charles? Wenn man Erfolg haben will im
Leben, dann muss man sich die Hände schmutzig machen, stimmt's nicht? Außerdem,
weißt du eigentlich, was die Anwälte bei diesem Tribunal kriegen? Zigmal mehr,
als Daddy gezahlt hat. Die sollte man
mal vor einen Richter zerren.« Sie seufzte. »Das ist alles so erbärmlich lästig.
Daddy macht schon nichts anderes mehr, als von morgens bis abends das Haus nach
irgendwelchen Papierschnipseln zu durchsuchen, die er dann hinten im Garten
verbrennt. Du hättest unser Halloweenfeuer dieses Jahr sehen sollen. Sah aus
wie in Flammendes Inferno. Und ... er
hat mir meine Kreditkarten weggenommen.« Sie schnippte ihre Zigarette ins
Meer. »Es ist alles so unsäglich lästig«, sprach sie mit zusammengekniffenen
Augen ihr Urteil über die Zivilisation als solche.
    Irgendwann
während unseres Spaziergangs hatte ihre Hand die meine gefunden, und gegen die
Kälte schwangen wir sie wie Kinder vor und zurück.
    »Und wie
läuft's bei dir?« Sie sah mich von der Seite an.
    »Weiß
nicht«, sagte ich und fügte in leisem Singsang hinzu: »My Heart
will go on.«
    Sie blickte
versonnen aufs Meer, von wo dunstige Regenwände Richtung Land trieben. »Das
verdammte Land ist schuld«, sagte sie. »Wie soll man in einem Land leben, in
dem es dauernd regnet?« Sie seufzte. »Vielleicht ist Hoylands Idee genau die
richtige ... Ich hab gestern mit ihm gesprochen, hatte ich dir das erzählt?
Er meint, wir sollten
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