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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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Probleme mit
dem letzten Scheck gegeben, und so hakte ich das Thema ab.
    Und so
ging mein neues Leben dahin. Die Nachtschicht bedeutete, dass ich kaum mit
anderen Menschen sprach, und dass sie so ruhig ablief, gefiel mir; es war, als
schwämme ich unter Wasser durch die Ruinen einer versunkenen Stadt.
    Und dann,
eines Abends, bekam ich einen Anruf.
    Es war ein
bitterkalter, graupeliger Winterabend, so verdammt kalt, dass sogar die
Uniformen an ihren Stangen zu zittern schienen und am liebsten die Hände
gegeneinander geschlagen hätten, wenn sie welche gehabt hätten. Ich war während
meiner Acht-Uhr-Pause im Dorf gewesen, um mich mit einem Kaffee etwas aufzuwärmen.
Als ich wieder zurückkam, sah alles wie immer aus. Rosco arbeitete am anderen
Ende der Halle, die Pappkartons lagen genau da, wo ich sie aufgestapelt hatte.
Und doch kam mir die Luft irgendwie veredelt vor,
hyperreal, als ob jemand an der Scharfeinstellung gedreht und für klarere Sicht
gesorgt hätte. Ich blieb einen Augenblick am Eingang stehen und ließ meinen
Blick durch die kalte Halle schweifen. Und dann hörte ich ein Telefon klingeln.
    Ich spürte
ein Ziehen in der Brust, als ich dem Geräusch nachging, vorbei am Kabuff des
Vorarbeiters, durch das Rollladentor und den Krankenschwesterngang bis zu
meinem Schreibtisch, wo unter einem Stoß von Bestellscheinen Bels Handy lag.
    Ich hatte
es eigentlich nur als Souvernir behalten - oder als eine Art Kuscheltierchen.
Droyd hatte mir gezeigt, wie es funktionierte, wie man es anstellte und
auflud. Aber ich benutzte es nie, außer dass ich staunend sein Display
betrachtete, und Anrufe erhielt ich auch fast nie. Doch jetzt lag es vor mir
auf dem Tisch und dudelte. Ich nahm es in die Hand, drückte auf einen Knopf,
hielt es an mein Ohr und hörte eine Stimme, die »Charles?« sagte.
    Die ganze Lagerhalle, die ganze
Welt, jedes einzelne Luftpartikel schien in regungslosem Argwohn zu erstarren.
»Hallo?«, sagte die Stimme. »Ja, ja, ich bin dran«, sagte ich hastig. »Ich
hatte gehofft, dass du abhebst«, sagte die Stimme. Ich sank auf meinen Stuhl.
»Warum sagst du nichts?«
    Mein Herz
raste, deshalb. Ich wischte mir einen eisigen Schweißtropfen von der Stirn und
sagte: »Bist du das?«
    »Natürlich,
wer sonst? Kennst du meine Stimme nicht mehr?«
    »Doch, aber ... verdammt.« Das
verdammte Telefon war so klein, dass es
sich dauernd in meiner Hand verirrte. »Verdammt, wir haben alle gedacht, dass
du ...«
    »So war's
ja auch gedacht.«
    »So war's
...?« Ich stand wieder auf. Ich war völlig durcheinander; meine Befindlichkeit
schwankte zwischen Erleichterung, Dankbarkeit und Hirnstillstand. »Wir haben
uns solche Sorgen gemacht. Mehr als das, wir waren ... Ich meine, das war das
erbärmlichste, egoistischste...«
    Schweigen
am anderen Ende. Einen terrorisierenden Augenblick lang glaubte ich, sie
verjagt zu haben. Dann sagte die Stimme: »Ich weiß. Es tut mir Leid. Aber ich
hatte nicht gedacht, dass du ... Ich meine, ich hab gedacht, du kommst drauf.«
    »Worauf?«
    »Der
Name.«
    »Der
Name?«
    Der Name,
wiederholte sie, der Name, jetzt komm schon, Charles, denk nach. Und allmählich
dämmerte es mir. Jessica Kiddon ... Jess Kiddon . .. just kidding. Alles nur
Spaß!
    »MacGillycuddy«,
keuchte ich.
    »Vielleicht
hätte ich doch tempora mores nehmen
sollen«, sagte Bel nachdenklich.
    just kidding : einer
von MacGillycuddys schrägen Einfällen, den ich aus tausend Metern Entfernung
hätte riechen müssen. Und jetzt, da ich Bescheid wusste, konnte ich einfach
nicht glauben, dass ich tatsächlich nichts gerochen hatte. Ich hätte wissen
müssen, dass er da bis zum Hals mit drinsteckte; ich hätte wissen müssen, dass
die Bitte, sich aus unserem Leben herauszuhalten, so viel nutzte, wie einen
Geist freundlich zu bitten, doch in seine Flasche zurückzukehren, oder einen
attackierenden Stier dadurch verscheuchen zu wollen, indem man mit einem großen
roten Stofffetzen wedelte. Bevor sie auch nur ein einziges weiteres Wort sagte,
wurden mir mehrere ungeklärte Phänomene plötzlich klar. Die Einladung zum
Dinner, die ich nicht bekommen hatte; die mysteriöse Schulfreundin, die nicht
im Jahrbuch auftauchte; die Geräusche in jener Nacht, als ob jemand Holz
hackte: Er hatte eine Schneise für den Wagen geschlagen, und zwar genau bis zu
der Stelle an den Klippen, von wo ich mich auf MacGillycuddys Rat hin unbedingt
hätte in den Tod stürzen sollen, anstatt mich in die Luft zu jagen. Es gab
keine Meisterklasse
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