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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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sie nie wiedergesehen,
zumindest nicht in natura.
    Wiederum
nur kurze Zeit später wurden Vuks und Zorans Asylanträge abgelehnt. Das frühere
Jugoslawien wurde von der irischen Regierung nicht mehr als hinreichend
gefährlicher Ort erachtet, um ihnen weiteres Bleiberecht im Land zu gewähren;
als Nächstes erfuhren wir, dass sie zusammen mit Mrs P zurück nach Kroatien
gehen würden, was uns ein wenig überstürzt vorkam. In Wahrheit war das
Einbürgerungsproblem nur eine Ausrede gewesen. Seit dem Tag ihrer Ankunft in
Irland hatte sich Mrs P danach gesehnt, wieder nach Hause zurückzukehren; die
»jüngsten Ereignisse« hatten sie in ihrem Wunsch nur bestärkt.
    »Für sie
spielt es keine Rolle, dass von unserem Haus nichts mehr da ist«, sagte Vuk.
»Sie denkt immer nur an meinen Vater, der damals verschwunden ist; sie will in
seiner Nähe sein.«
    »Und
Mirela?«, fragte ich. »Geht sie mit?«
    »Ach ja,
Mirela«, seufzte er. »Vielleicht hat sie Recht, vielleicht ist es besser, hier
zu bleiben und alles zu vergessen. Aber Mama will unbedingt zurück.« Er tippte
sich an den Kopf und grinste. »Wir gehen mit und passen auf, dass sie nicht
völlig überschnappt.«
    Ich
wusste, dass Mutter sich einsam fühlte so ganz allein im Haus. Ich hatte sie
bedrängt, wieder jemanden einzustellen, aber sie wollte nichts davon hören.
Tatsächlich war ich mir nie sicher, inwieweit sie meine Besuche überhaupt
wahrnahm. Sie begnügte sich mit ein oder zwei Räumen und überließ den Rest dem
durchs Haus streichenden Wind. Manchmal kam ich, und sie saß vor einem kalten
Kamin, ein Glas in der Hand und überall kalte Asche auf dem Boden. Dann redeten
wir, oder vielmehr hörte ich zu, während sie ausnahmslos über die alten Zeiten
redete: das Trinity College, den Jagdball, über ihre und Vaters Hauptrollen in
dieser oder jener Produktion. Manchmal versuchte ich das Gespräch auf Bel zu
lenken, aber sie konnte oder wollte nicht darüber sprechen, jedenfalls konnte
ich den Schleier ihrer wehmütigen Erinnerungen nicht durchdringen. Nur einmal,
als ich sie direkt nach dem Abend der Schulaufführung fragte, schien sich ein
Loch in den Spinnweben aufzutun. Sie hielt kurz inne, fuhr mit einem Finger
über den Rand ihres Sherryglases und sagte dann: »Eine wahre Schauspielerin,
Charles, gewährt nie einen Blick auf sich selbst. Wenn sie die Bühne betritt,
erschafft sie sich jedes Mal neu, sie benutzt, was um sie herum ist. Und wenn
sie die Bühne wieder verlässt, entkleidet sie sich wieder, einfach so...« Sie
breitete die Arme aus und schüttelte sich eine imaginäre Robe von den Schultern.
»Das Leben einer Schauspielerin ist nur der Haken, an dem sie ihr Ich aufhängt.
Aber Bel ... Bel...« Sie hielt wieder inne und lächelte traurig. »Bel hat immer
verlangt, dass das Leben nach ihrer Pfeife tanzt. Sie wollte nie begreifen, wie
nützlich Kompromisse sind. In der Beziehung war sie wie ihr Vater; sie hat es
sich schwerer gemacht, als es ohnehin schon war...«
    Ihre
Finger kreisten auf dem Rand des Glases, dann, plötzlich, hellten sich ihre
Züge auf. »Aber damals, Charles, früher, was waren
das für fröhliche Zeiten. Und heute? All die kleinen Leute und ihre Regeln.
Aber damals ... damals, als das Haus noch voller Leben war, als der
Stallbursche den Brougham vorgefahren hat, und die Hausmädchen haben sich in
ihren Kleidchen aufgestellt und ihren Knicks gemacht, und die Diener und der
Chauffeur und der Koch, in jedem Raum pulsierte das Leben...«
    »Aber,
Mutter«, widersprach ich sanft. »Das hatten wir doch alles gar nicht. In
Amaurot hatten wir doch gar nicht so viel Personal.«
    »Ich meine
nicht uns, Charles«, sagte sie. »Ich meine damals, in den alten Zeiten, im
letzten Jahrhundert, bevor wir hier gewohnt haben. Und jetzt haben wir ein
neues Jahrhundert«, fügte sie verächtlich hinzu, und ihre Augen glänzten
glasig, während sie sich Sherry nachschenkte und geistesabwesend Schlückchen um
Schlückchen nachgoss, bis die Flüssigkeit zitternd den Rand des Glases
erreichte. »Wie fröhlich muss das damals gewesen sein, wie fröhlich ...« Und
sie schüttelte den Kopf, zärtlich lächelnd, und nahm gar nicht wahr, dass ich
die Klinke hinunterdrückte und mich in die zugige Halle schlich.
    Ich konnte
sie nicht so oft besuchen, wie ich gern gewollt hätte. Ich machte mir Sorgen um
sie. Einmal rief ich im Cedars an und fragte nach, ob sie sie vielleicht wieder
aufnehmen könnten, nur für kurze Zeit; aber anscheinend hatte es
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