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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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beziehungsweise lag jetzt neben ihm
auf dem Boden - ein himmlisch aussehendes Soufflé und eine Flasche ziemlich
anständigen Armagnacs. Es schien ganz so, dass sich da jemand berechtigte
Hoffnungen auf ein Frühstück erster Klasse im Bett machen konnte. Und es
bestand kaum ein Zweifel daran, wer dieser Jemand war - die Arme war immer noch
ganz außer sich wegen des Weiße-Bohnen-Debakels. Und tatsächlich, jetzt, da ich
sie mir genauer anschaute, sah ich die Ringe, die Kummer und Müdigkeit in ihr
einfaches, bäuerliches Gesicht gegraben hatten.
    Sie
protestierte zwar, aber ich ließ nicht zu, dass sie das Frühstück um diese
Stunde noch einmal zubereitete. Ich sagte ihr, sie solle sich keine Gedanken
mehr über die weißen Bohnen machen und sofort schlafen gehen, wenn sie den
Boden sauber gemacht habe. Dankbar verbeugte sie sich, und ich verließ die
Küche. Ich staunte über ihren Eifer, machte mir aber doch zunehmend Sorgen um
ihre geistige Standfestigkeit - ich meine, Fasan zum Frühstück, ich bitte Sie.
In all der Aufregung war mir das Frank-Mysterium glatt entfallen. Und es
dauerte auch noch einige Zeit, bis ich merkte, dass die Ottomane und der
kunstvoll verzierte Teekessel auch verschwunden waren.
     
    Zwei
     
    ES KÖNNTE DER EINDRUCK ENTSTANDEN SEIN, als habe
Bels Standpunkt etwas für sich. Ich meine den Punkt, dass ich keinen Job hatte.
Für den oberflächlichen Betrachter mag es so ausgesehen haben, als führte ich -
verglichen mit dem lärmenden Arbeitseifer, mit dem sich die Stadt nördlich von
uns selbst zerfleischte - ein Leben in Trägheit. Es stimmte, dass ich nach
einer kurzen und zu bedauernden Verirrung in höhere Ausbildungswege meine
Aktivitäten im Wesentlichen auf das Haus und seine Umgebung beschränkte. Aus
einem einfachen Grund: Ich war dort glücklich. Und da ich weder über nennenswerte
Kenntnisse noch weiterreichende Talente verfügte, sah ich keine Veranlassung,
der Welt mit meiner Anwesenheit zur Last zu fallen. Die Behauptung allerdings,
ich täte nichts, war falsch. Es gab einige
Projekte, die mich auf Trab hielten, wie zum Beispiel Komponieren und die
Überwachung der Turmbauarbeiten im Garten. Ich sah mich als jemanden, der eine
bestimmte Art zu leben wieder erweckte, eine fast verschwundene Lebensart,
nämlich die kontemplative des Landedelmannes, der sich in Einklang weiß mit
seiner Stellung und Geschichte. Die Menschen der Renaissance nannten das sprezzatura: Die Idee war, jede Handlung des Menschen habe von Schönheit
durchdrungen zu sein, aber bei ihrer Ausführung doch mühelos zu erscheinen.
Wenn nun eine Person, sagen wir, im Rechtswesen tätig war, so habe sie diese
Tätigkeit auf die Stufe der Kunst zu erheben; und wenn jemand faulenzen wolle,
dann habe er in Schönheit zu faulenzen. Dies, so der Renaissancemensch, sei die
wahre Bedeutung eines Lebens als Aristokrat. Ich hatte das Bel mehrere Male
erklärt, aber sie schien es nicht zu begreifen.
    Unser Haus
hieß Amaurot. Es lag in Killiney, etwa zehn Meilen von Dublin entfernt, einer
schattigen Gegend mit Meeresluft und niedrig hängenden Zweigen über schmalen,
gewundenen Straßen. Die meisten Häuser waren im neunzehnten Jahrhundert von
Richtern, Vizekönigen und Menschen erbaut worden, die bei Heer und Marine tätig
waren. In den vergangenen Jahren jedoch war aus der Gegend eine Art
Steuerparadies für ausländische Autorennfahrer und Soidisant-Musiker geworden. Trotzdem besaß sie immer noch eine weltabgeschiedene
Eleganz und atmete die Stille des Waldes. Nirgendwo sonst hätte ich leben
wollen.
    An so
manch strahlendem Morgen stieg ich unter dem Blätterdach von Esche und
Bergahorn die moosbewachsenen Stufen zum Killiney Hill hinauf. Auf der Anhöhe
stand ein Obelisk, den man zum Gedenken an die Freundlichkeit des Landadels
gegenüber den einheimischen Bauern während des Hungerjahres 1741 errichtet
hatte. Von dort hatte man einen Blick über die halb versteckten Dächer bis zu
den blauen Bergen und der goldenen Sichel des Strandes. Neben dem Denkmal
stand eine Zikkurat, ein kleiner babylonischer Turm. Die Legende besagte, dass
man einen Wunsch frei habe, wenn man jede Ebene des Turms siebenmal umrundete.
Aber weder Bel noch ich hatten es jemals bis ganz nach oben geschafft, und wenn
wir es geschafft hätten, wäre uns wohl viel zu schwindelig gewesen, um
überhaupt noch einen Wunsch äußern zu können.
    Amaurot
war groß und hunderte von Jahren alt. Als wir noch Kinder waren, glaubten Bel
und ich, dass uns
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