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Mueller und die Tote in der Limmat

Mueller und die Tote in der Limmat

Titel: Mueller und die Tote in der Limmat
Autoren: Raphael Zehnder
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Sedisvakanz des Apostolischen Stuhls. Ich verspreche überdies dem Herrn Kommandanten und meinen übrigen Vorgesetzten meine Achtung, Treue und Gehorsam. Ich schwöre, alles das zu beachten, was die Ehre meines Standes von mir verlangt.»
    Und Stahl hatte wiederholt: «Ich, Rekrut Roger Stahl, schwöre, alles das, was mir soeben vorgelesen wurde, gewissenhaft und treu zu halten, so wahr mir Gott und seine Heiligen helfen.»
    «Könnte ich bitte durch?», fragte die Frau vom Fensterplatz, die es offenbar eilig hatte. Erst jetzt bemerkte Stahl, dass die übrigen Passagiere bereits ausgestiegen waren.
    «Entschuldigen Sie vielmals, ich war in Gedanken.» Er stand auf und liess die Frau an sich vorbei. Sie reckte sich zum Gepäckfach, um ihren Koffer herauszunehmen. Dabei spannten sich die Waden ihrer schlanken Beine zu kleinen Kugeln, die beige Bluse rutschte aus dem Bund des kurzen Rockes und liess ein Stück nackter Haut blitzen.
    «Warten Sie, ich helfe Ihnen», sagte Stahl und griff nach ihrem Koffer. Stahl mass knapp eins neunzig, sein durchtrainierter Körper wirkte trotz der langen Extremitäten keineswegs schlaksig; vielmehr tänzerisch.
    «Danke», sagte die Frau, nahm den Koffer entgegen und warf einen Blick auf die silberne Rolex. «Mit der Schweizer Pünktlichkeit ist es auch vorbei. Das sind ja Verhältnisse.»
    Stahl wusste nicht, ob sie ihn oder den Piloten für die Verspätung des Flugzeugs verantwortlich machte. Er sah noch mal auf ihre Beine, die hinter dem schmalen Rollkoffer bei jedem Schritt aufblitzten, und sprang in Gedanken von ihren Waden zur Boule-Kugel, die Albin erschlagen haben sollte. Dann nahm er seinen dunkelblauen Trenchcoat, den er sich von Lézard für diesen Sommer gekauft hatte. Er warf den leichten Mantel lässig über den Unterarm und ging auf die beiden Stewardessen zu, die ihm einen schönen Aufenthalt in Zürich wünschten und ihm zum Abschied ein Tablett mit Schokolade entgegenstreckten. Er griff sich zweimal «Zartbitter» und lächelte dazu doppelt so süss. Dann trat er auf die Metalltreppe hinaus.
    Er hielt kurz inne und inhalierte die frische Luft: Zürich im September. Heimat. Es schien ihm eine Ewigkeit, dass er hier gewesen war.

    Cecilia starrte auf den Bücherschatz und holte tief Luft. Wo beginnen? Das Regal vor ihr hatte eine Länge von etwa sechs Metern und reichte bis unter die hohe Decke. Die Tablare, feiner italienischer Nussbaum, glänzten schlicht und zurückhaltend; die Bücher sollten zur Geltung kommen. Das taten sie. Unzählige Erstausgaben, edle Sammlungen von Denkern und Dichtern: streitsüchtige Philosophen bedrängten friedvolle Theologen, Praktiker konkurrierten mit Theoretikern, Wissenschaftler feilschten mit Künstlern.
    Cecilia musste aufpassen, sich nicht bei jedem Buch zwischen den Seiten zu verlieren, sondern das zu tun, wozu sie hier war: die Folianten in Kartons zu verpacken, um sie dann ins Antiquariat zu transportieren. Allein konnte sie das niemals schaffen. Linus hatte sich mal wieder verspätet. Er würde dem Verkehr die Schuld geben, aber Cecilia ahnte Arges. Er hatte wieder begonnen zu saufen. Das Ende des Sommers war eingeläutet. Sobald die Altweiber ihre Fäden spannten, griff Linus zur Flasche. Pünktlich zu Weihnachten würde er sich dann selbst auf Entzug setzen und mit seiner Ungeniessbarkeit die Familienfeier zerstören. So lief es jedes Jahr. Am besten ertrug man ihn von Mai bis Ende August. Heute war aber der 5. September und Sonntag dazu. Cecilia mochte nicht daran denken, dass sie täglich mit Linus zu tun haben würde. Aber sie hatte Tante Hedwig versprochen, so lange auszuhelfen, bis sie nicht mehr an Krücken gehen musste. Das neue Hüftgelenk durfte nicht zu früh belastet werden, wollte Hedwig wieder die Alte werden. Und mit fünfundsechzig heilten die Wunden eben nicht mehr so schnell. Vor allem, wenn man, statt sich zu bewegen, lieber unzählige Zigarren nebst einer Flasche Rotwein genoss und sich tagein, tagaus im Ohrensessel zum Literaturstudium lümmelte.
    Ohne die finanzielle Unterstützung und die Kontakte von Tante Hedwig hätte sich Cecilia ihr Studium niemals leisten können. Viele wollten Journalisten werden, aber nur wenige schafften es, gelesen zu werden. Hedwig kannte Leute, die wichtig waren, und Cecilia hatte es sich längst abgeschminkt, nur mit ihren Fähigkeiten allein Karriere zu machen. Sie wusste, dass man auch Gelegenheiten ergreifen musste, wenn man es nach oben schaffen wollte. Lange genug hatte
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