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Mueller und die Tote in der Limmat

Mueller und die Tote in der Limmat

Titel: Mueller und die Tote in der Limmat
Autoren: Raphael Zehnder
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sie für die «Fabrikzeitung» geschrieben. Jetzt war sie neunundzwanzig und wollte Leitartikel verfassen, die diskutiert wurden. Am liebsten hätte sie aber ein grosses Projekt gehabt, für das sie recherchieren durfte. Wie ein Regenwurm im Komposthaufen konnte sie sich in Quellentexten verkriechen und sich von einer Information zur nächsten fressen. Allerdings waren solche Geschenke keinem Verleger der Welt abzutrotzen. Zumindest nicht, wenn man Cecilia Fetz hiess und bislang nur Porträts über Underground-Bands und Graffiti-Künstler vorzuweisen hatte, und nebenbei für ein Juwelier-Magazin alte Kriminalfälle auf eine Seite zusammenstutzen musste. Ein grosses kulturelles Thema, besser noch ein Skandal, der die Gesellschaft interessieren und bewegen würde, bei dem man Zeit hatte, sauber zu arbeiten – das wäre was. Wenn Hedwig mit ihrem Erbe vorzeitig rausrücken würde, könnte Cecilia sich das Projekt sogar auf eigene Faust finanzieren. Danach wäre sie dick drin im Geschäft.
    Cecilia wischte ihren Tagtraum mit einem Atemzug weg und warf das dicke Buch, das sie gerade aus dem Regal genommen hatte, in den Karton zu den anderen Folianten. Es klatschte auf und staubte.
    Im Schloss der Wohnungstür drehte sich ein Schlüssel. Besass Linus auch einen? Cecilia dachte, Hedwig hätte nur einen von Albin Studer erhalten. Der Tod des alten Gardisten wäre vielleicht auch eine Story, aus der man mehr machen könnte. Aber die hatten sich längst andere geschnappt; ausserdem war es nur eine Geschichte für allenfalls drei Tage: «Junkie erschlägt Ex-Gardisten». Manche würden die alten Diskussionen um den Drogenmissbrauch und die Beschaffungskriminalität heraufbeschwören. Dabei würden sie in den Archiven der achtziger und neunziger Jahre kramen. Alles schon gesagt.
    Sie drehte sich nicht um, als sie Schritte hinter sich hörte.
    «Du kannst die ersten Kartons direkt runterbringen. Ich würde gerne vor Mittag die erste Fuhre in den Laden schaffen», sagte sie und nahm den Schopenhauer, um ihn in einem der Kartons zu verstauen.
    Während sie auf den wilden Haarschopf des Philosophen sah, spürte sie einen Schlag auf den Hinterkopf, und Schopenhauers Konterfei tauchte in tiefes Schwarz.

    Stahl hatte die Fahrt mit dem Taxi durch seine Heimatstadt genossen. Er war einer der wenigen, denen es gelungen war, aus dem Kanton Zürich in der Garde aufgenommen zu werden. Die kleine Armee wurde von Wallisern dominiert. Der Vatikan hatte sie über die Jahrhunderte bevorzugt, weil sie als Erzkatholiken galten. Es war nicht leicht, sich zwischen ihnen einen Platz zu verschaffen. Aber Stahl hatte sich durchgebissen. Mehr als das. Er war zum Sonderdiplomat für spezielle Einsätze erkoren worden und genoss dadurch einen besonderen Status. Er erhielt seine Aufträge direkt vom Camerlengo. Das hatte ihm nicht nur Respekt, sondern auch Neider beschert. Vor allem die Walliser hatten nicht verstanden, warum nicht einer aus ihren Reihen dieses Vertrauen genoss.
    Er zahlte und wartete, bis der Fahrer ihm sein Gepäck aus dem Kofferraum hob. Der untersetzte Mann mit dem verschwitzten Hemd ächzte unter dem Gewicht des Koffers. Stahl nahm ihm das Gepäckstück aus der Hand, ehe es auf den Asphalt schlagen konnte. Der Fahrer lächelte dankbar. Für das grosszügige Trinkgeld, das Stahl ihm gegeben hatte, durfte er das erwarten.
    Stahl sah zur Schweizer Flagge über dem Eingang des Hotels hinauf, die von zwei blau-weissen Fahnen flankiert wurde. Er nahm den Koffer und steuerte auf den «Schweizerhof» zu. Vierhundert Franken pro Nacht konnte er sich leisten. Er wollte nur drei Tage hierbleiben, ehe er wieder mit wesentlich kleinerem Gepäck an Orten zu übernachten hatte, an denen man sich schon freute, wenn es überhaupt fliessend Wasser gab.
    Ein Yuppie-Pärchen verliess eben das Hotel und lachte hochglanz. Ihm gehörte die Welt, es konnte sich den Luxus leisten. Stahl sah ihm nach, dann blickte er wieder auf den Eingang des Hotels. Nein, er würde hier nicht übernachten können. Dieses Zürich war nie seine Heimat gewesen, und er wollte sie sich jetzt auch nicht erkaufen. Er packte seinen Rollkoffer und zog ihn hinter sich her, entlang der Löwenstrasse. Eine Viertelstunde würde es zu Fuss dauern, dann wäre er dort, wo er einst zu Hause gewesen war.
    Zürich am Sonntag war noch immer so beschissen und tot wie eh und je. Daran hatte sich nichts geändert. Die Sihl wälzte hellbraune Brühe. Das gestrige Gewitter hatte den Schlamm
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