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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie
Autoren: Matt Beynon Rees
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im Laufschritt herein. Sie packten Pergen unter den Armen, hoben ihn auf die Knie und zerrten, ohne ihrem Herrscher den Rücken zuzukehren, den weinenden Mann aus dem Raum. Er war dermaßen erschlafft, dass ihm ein Schuh vom Fuß rutschte. Der Kaiser hob ihn auf und warf ihn dem Hofmeister zu.
    Mit einem Ausdruck des Bedauerns und Ekels um den strengen Mund wandte er sich an Swieten. «Weder bereitet es mir Vergnügen, mit ansehen zu müssen, wie mein ergebener Diener aus diesem Raum geschleppt wird», sagte er, «noch dass er in den Wahnsinn getrieben werden könnte.»
    Der Baron senkte den Kopf. «Gleichwohl, Euer Majestät …»
    «Gleichwohl beging Pergen einen schweren Fehler, den Tod Maestro Mozarts zu befehlen.»
    «Es war nicht sein einziger Fehler, Euer Majestät», sagte ich.
    Meine Verkleidung schützte mich wie eine Maske auf einem Ball oder ein Kostüm beim Karneval. Falls meine Worte dem Kaiser missfielen, kamen sie aus einem Mund, der nicht der meine war, weil ich den Anzug eines Toten trug. «Graf Pergen witterte in der harmlosen Mitgliedschaft meines Bruders bei der Bruderschaft der Freimaurer Aufruhr. Und in der Botschaft der Gleichheit im Zentrum der wunderbaren Oper, die Wolfgang zusammen mit Herrn Schikaneder geschrieben hat.»
    Die Augen des Kaisers blitzten den Schauspieler an, der sich mit einem unbehaglichen Grinsen verneigte.
    «Wenn ihr diese guten Freimaurerbrüder verfolgt, Eure Majestät, treiben Sie sie zur Zusammenarbeit mit Euren Feinden», sagte ich.
    Leopold zog eine seiner dünnen Augenbrauen hoch. Selbst in meiner Verkleidung fiel es mir schwer, seinem durchdringenden Blick standzuhalten. Ich geriet fast in Versuchung, Wolfgangs Mission in Berlin zu gestehen, als hätte ich selbst die Reise unternommen.
    «Graf Pergen hat mich in letzter Zeit enttäuscht», sagte der Kaiser. «Er drängte mich, viele der Reformen während der Herrschaft meines lieben Bruders Joseph zurückzunehmen. Ohne Begeisterung habe ich gewisse wichtige Maßnahmen rückgängig gemacht. Aber mehr nicht. Es ist genug.»
    Swieten lächelte und wollte etwas sagen, doch das Stirnrunzeln des Kaisers ließ ihn schweigen.
    «Niemand möge weitere Forderungen an mich richten. Sie tun gut daran, sich zu erinnern –», er zögerte, «Madame de Mozart, dass ich vor Gefahren gegen die Krone auf der Hut sein muss.»
    «Natürlich, Euer Majestät. Aber sie gehen nicht von der Oper meines Bruders aus.»
    «Graf Pergens Maßnahmen werden tatsächlich ausgesetzt.»
    Ich dachte an die
Grotte.
«Wäre es möglich, die Gründung einer neuen Freimaurerloge zu gestatten? Zu Ehren meines verstorbenen Bruders. Eine Loge, in der Frauen der Zugang zur Bruderschaft erlaubt ist?»
    Seine Augen wurden schmal. «Madame, Sie überschreiten die Grenzen des Anstands. Sie ziehen sich jetzt am besten aus diesem Raum zurück und legen angemessene Kleidung an. Schließlich sind Sie nicht wirklich Mozart.»
    «Oh, das bin ich doch.» Ich nahm meinen Dreispitz vomKlavierdeckel und setzte ihn mir so auf den Kopf, wie Swieten es mir gezeigt hatte. «Ich bin es bestimmt.»
    Mit einer Verbeugung näherte ich mich dem Ausgang. Ich fing Swietens Blick auf. Seine Augen stellten eine Frage. Da nun das Geheimnis, das mich nach Wien geführt hatte, gelüftet war – würde ich bleiben? Bei ihm? Es wäre das Leben, das ich mir immer gewünscht hatte. Doch hatte ich Berchtold nicht im Gotteshaus geheiratet, und hatte Pergens Zusammenbruch mir nicht die Folgen gezeigt, wenn man Gottes Gesetz bricht? Ich biss mir auf die Unterlippe. Der Hofmeister gab schnell den Weg für mich frei.
    Hinter mir schloss sich die Tür. Auf dem Fußboden lag Pergens zweiter Schuh, ein Mahnmal an den Mann, der einst mit großem Selbstbewusstsein über diesen Flur geschritten war.
    Als ich die Treppe in den Hof hinunterging, war ich damit einverstanden, dass dies der letzte Auftritt eines Mozarts im kaiserlichen Palast gewesen sein sollte.

35

    Gott ist mein Licht. Doch als ich den Marxfriedhof betrat, spürte ich, dass Er auch ein auf der Welt liegender Schatten ist. Er zieht uns alle in ewige Dunkelheit.
    Am Himmel trieben Wolken entlang, mit silbrigen Streifen von der unsichtbaren Sonne. Der Wind drückte mir die Spitzenhaube, die ich über meinem kurz geschnittenen Haar trug, gegen die Stirn. Der Pfad war mit nassem Laub übersät, das knisterte wie Regen, der gegen eine Fensterscheibe klopfte. Krähen zogen niedrige Kreise.
    Auf dem Friedhof war alles in Bewegung. Niemand
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