Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie
Autoren: Matt Beynon Rees
Vom Netzwerk:
empfand Triumpfgefühle.»
    «Und dann hat er Sie attackiert?»
    «Nein. Ich sagte ihm, dass er sich täuschte. Ich war die Schülerin des Maestros gewesen und sonst nichts. Er wollte nichts davon hören, aber ich bestand darauf. Er begriff, was er getan hatte. Er brüllte, düpiert worden zu sein. Ein Genie ermordet zu haben.»
    «Düpiert? Von wem?»
    «Er bat mich um Verzeihung.» Sie schluchzte. «Sonst bat er um nichts.»
    «Aber Sie haben sie ihm verweigert?»
    «Wie konnte ich etwas derart Entsetzliches verzeihen? Er hat das größte Geschenk, das Gott je der Menschheit gemacht hat, vernichtet. Er hat all die ungeschriebene Musik, die Wolfgang noch geschaffen hätte, ausradiert.»
    «Also hat er beschlossen, Sie zu töten und sich dann selbst das Leben zu nehmen.»
    «Er geriet außer sich. Er verstümmelte mich. Dann schnitt er sich die Kehle durch. Ich musste mit ansehen, wie er starb.» Sie deutete auf die Gräberreihe. «Er ist da drüben begraben, aber ich habe noch nie an seinem Grab gestanden, wie ich nun hier stehe. Für die Rolle, die ich beim Tod des Maestros gespielt habe, muss ich Buße tun.»
    Ich fragte mich, ob Franz Hofdemel sich seine Eifersucht hatte anmerken lassen. Vielleicht hatte sie bereits früher versucht, ihn von ihrer Unschuld zu überzeugen. Sie musste sich von Wolfgangs erstaunlicher Begabung derart angezogen gefühlthaben, dass sie blind gegenüber den einfachsten Bedürfnissen ihres Mannes wurde. Nun tat sie Buße.
    Blindheit. Buße.
    Ich trat näher an sie heran. «Sie waren es.»
    Sie runzelte die Stirn.
    «Natürlich», sagte ich. «Das Rätsel, das Wolfgang an den Schluss einer seiner letzten Sonaten geschrieben hat.
Sie bereut ihre Blindheit, wie sie stets reumütig ist. Auf der Tastatur laufen ihre Töne Amok wie ausgetriebene Dämonen. Ich werde mit ihr wie ein Bruder in den Hallen des Paradieses sein, an ihrer Seite, wie ich es stets war, doch nicht so, wie mein Vater es wünschte.»
    Magdalena schüttelte den Kopf. «Ich?»
    «Bußfertig wie Maria Magdalena stets beschrieben wird. Sie tragen ihren Namen. In der Heiligen Schrift ist sie besessen, aber Jesus treibt ihr die Dämonen aus. Wolfgang hat für Sie das Gleiche getan, indem er Ihre Anfälle mit Musik linderte. Er nahm Sie an seine Seite, wie Jesus Maria Magdalena an seine Seite nahm. Er tat das trotz der Missbilligung der Apostel – seiner Brüder.»
    «Ein Rätsel?»
    «Auf ein Manuskript gekritzelt. Hören Sie doch:
an ihrer Seite, wie ich es stets war, doch nicht so, wie mein Vater es wünschte.
Nicht als die Frau, die unser Vater sich für ihn gewünscht hatte, aber als gleichberechtigte Gefährtin in seiner neuen Freimaurerloge.»
    «Ich? Eine Freimaurerin?»
    «Wolfgang hatte die Absicht, eine neue Loge zu gründen, die Frauen mit besonderem Charakter und Talent offenstehen sollte. Sie sagten, dass er Ihr Talent als Pianistin geschätzt hat. Sie sollten diejenige sein, die seinem neuen Unternehmen beigetreten wäre.»
    Magdalena legte sich eine Hand auf die Brust und starrte auf die schwere nasse Erde auf Wolfgangs Grab.
    «Ihr Mann konnte sich die Absolution nicht selbst erteilen», sagte ich. «Da Sie jetzt wissen, was Wolfgang Ihnen gegenüber empfand, können Sie sich vielleicht zumindest selbst verzeihen.»
    Sie wandte sich mir zu. Unter dem Schleier schimmerten die schwarzen Narben. «Madame, hinsichtlich des Rätsels stimme ich Ihnen nicht zu.»
    «Aber das
müssen
Sie doch verstehen.»
    «Ich verstehe es auch», sagte sie. «Es bezieht sich mit Sicherheit auf
Sie.»
    Sie ging an der Gräberreihe entlang und an der Stelle vorbei, an der ihr Mann begraben war.
    Ich blickte ihr nach, wie sie den Pfad zum Friedhofstor entlangging. Meine Gesichtsmuskeln waren so erschlafft, als seien sie von Auszehrung befallen. Der Wind raschelte durch den Fliederstrauch. Ich wandte der kalten Böe den Rücken zu und schaute auf Wolfgangs Grab. Er hatte das Rätsel an das Ende einer Sonate gekritzelt, die mir gewidmet war –
meiner Nannerl.
    «Ich werde mit ihr wie ein Bruder in den Hallen des Paradieses sein»,
flüsterte ich,
«an ihrer Seite, wie ich es stets war, doch nicht so, wie mein Vater es wünschte.»
    Was hatte mein Vater gewünscht? Dass ich einen Provinzbeamten heiratete, der mir ein bequemes Heim bot. Aber nicht, dass ich meine Fähigkeiten als Pianistin zur Schau stellte, um mir mit Musik meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das war es, was Wolfgang gewollt hatte. Er hatte gesehen, wie sehr es mich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher