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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie
Autoren: Matt Beynon Rees
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bedrückte, ignoriert zu werden, während er allen Ruhm einheimste. Er hatte gewollt, dass ich bekam, was er bekommen hatte.
    Wir waren so lange voneinander getrennt gewesen, dass es unvorstellbar schien, dass er bis zum Ende so um mich besorgt gewesen sein sollte. Doch nun fiel mir schlagartig ein,dass mir Constanze, Fräulein Paradis und Magdalena Hofdemel alle erzählt hatten, Wolfgang hätte noch in seinen letzten Tagen häufig von meiner Begabung gesprochen. Ich erinnerte mich daran, wie ich nach der Frühmesse durch den Schnee nach Hause gegangen war, bevor ich von seinem Tod erfuhr. Ich hatte mich gefragt, ob der gleiche Schnee wohl auch auf ihn, den weit Entfernten, fiele. All die Jahre hatten wir geglaubt, uns voneinander entfremdet zu haben, und doch waren wir aneinander gebunden, als teilten wir die gleiche Seele.
    Ich wischte mir eine Träne weg. Sie schien auf meiner Fingerspitze zu gefrieren.
    Wolfgangs neue Loge hätte für mich sein sollen. Ein Zauberreich der Musik und Liebe und Gleichheit wie jene Fantasiereiche, die wir uns in unserer Kindheit auf den langen, verspielten Kutschfahrten ausgedacht hatten. Mein Bruder und ich. Unsere Fähigkeiten ergänzten sich, statt miteinander zu konkurrieren. Zusammen in unserer Grotte.
    Der Wind rüttelte am Pergament an Wolfgangs Kreuz. Die Ränder schlugen gegen das Holz. Ich hauchte einen Kuss auf meinen Finger und legte ihn auf seinen Namen.

36

    Während der Frühmesse fürchtete ich, mein Geist könnte aus meinem Körper fahren und heulend aus dem Dom entweichen. Endlich galt meine Inbrunst nicht mehr meinem toten Bruder. Meine Bittgebete für
seine
Seele waren vorbei.
    Als ich den Stephansdom verließ, dämpfte der Donaunebel das Rasseln der Droschke und legte sich wie ein feuchter, liebloser Kuss auf meine Haut. In der kaiserlichen Bibliothek sagte mir der Lakai, Baron van Swieten sei im Ständehaus an der Herrengasse, wo die Regierungsministerien ihren Sitz hatten. Ich befahl dem Kutscher, mich hinzufahren.
    Am Eingang balancierte ein Arbeiter auf der obersten Sprosse einer Trittleiter und polierte eine Laterne. Er stieg von der Leiter und berührte ehrerbietig die Stirn. Die Laterne baumelte über ihm wie ein Gehenkter. Ich sagte dem Kutscher, dass er mit Lenerl im Hof warten sollte, und ging zur Treppe.
    Über mir schlenderte ein schlanker, großer Mann dem Treppenabsatz entgegen. Vor der Statue einer klassischen griechischen Jungfrau, die sich aus einem Alkoven hervorbeugte, blieb er stehen. Wie ein im Augarten flanierender Kavalier tippte er grüßend an die breite Krempe seines englischen Huts und lachte über seinen Scherz. Als er weiter die Treppe hinunterging, hallten seine Schuhe auf dem Marmor, als würde er tanzen.
    Er sah wie Prinz Lichnowsky aus. Aber sein Verhalten war so ausgelassen, dass ich nicht glauben konnte, dass es sich umden mir bekannten steifen, nervösen Mann handelte. Erst als er an mir vorbeiging, sah ich, dass er es tatsächlich war.
    «Guten Morgen, mein Prinz», sagte ich.
    Lichnowskys sonst so strenger Mund weitete sich zu einem breiten Lächeln. Mich erinnerte das an die Erleichterung und den Triumph auf den Gesichtern meiner Stiefsöhne, wenn sie wegen einer Missetat mit Schlägen rechneten, aber mit einer Ermahnung davonkamen. Er führte den Griff seines Spazierstocks zum Gruß an seinen Hut. Der Ring an seinem kleinen Finger zeigte eine Kamee mit dem Profil des Kaisers.
    «Liebe Güte, ich hätte Sie kaum erkannt, Madame de Mozart. Was haben Sie denn mit Ihren Haaren gemacht?», sagte er. «Mit einer Haube habe ich Sie noch nie gesehen. Sie haben sich aber sehr gründlich frisieren lassen, nicht wahr?»
    «Dieser Stil passt besser zu meinem wahren Charakter. Ich hoffe, dass das auch für das Lächeln gilt, das ich zum ersten Mal auf Ihrem Gesicht sehe.»
    Er lachte und breitete die Arme aus, als wollte er die ganze Welt umarmen.
    «Welche Angelegenheit führt Sie hierher, mein Prinz?»
    Er lehnte sich gegen die weiße Marmorwand. «Ich habe einen Freund aufgesucht. Um ihm zu seiner Beförderung zu gratulieren. Wir haben, wie Sie, glaube ich, bereits wissen, einen neuen Polizeiminister.» Er zwinkerte.
    Ich dachte an den mir wimmernd zu Füßen liegenden Pergen. Was hatte Lichnowsky mit dem Polizeiministerium zu tun?
    Seine ausgelassene Stimmung machte mich neugierig. Er war nicht mehr der Unglückselige, den Fräulein Paradis vor weniger als zwei Tagen belauscht hatte, als er vor dem preußischen Gesandten gebuckelt
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