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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie
Autoren: Matt Beynon Rees
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sagte sie. «Dieses Zimmer war eine betriebsame Werkstatt. An dem Tisch transkribierten die Kopisten seine Noten. Er lief zwischen ihnen, seinem Komponiertisch und dem Klavier hin und her und hinterließ dabei seinen Parfümduft. Ich schnitt die Schreibfedern für die Kopisten zu. Manchmal half ich dabei, Wolfgangs Blätter fürs Orchester abzuschreiben. Hier herrschte große Betriebsamkeit. Als er
Die Zauberflöte
vollendete, waren wir alle fleißig und glücklich. Wir wussten, dass es ein Meisterwerk war.»
    Constanze sprach hastig, gereizt, in einer hohen, klagenden Tonlage. So war sie auch bei der einzigen anderen Gelegenheit gewesen, als wir einander begegnet waren; damals hatte sie um die Einwilligung meines Vaters in die Ehe gefürchtet. Der Verlust ihres Mannes fügte ihrem einschmeichelnden Tonfall eine verrückte Nuance hinzu. Ich machte mir Sorgen um sie und Wolfgangs zwei Söhne.
    «Die neue Oper war ein Erfolg?», fragte ich.
    «Die Zauberflöte
? Sie wird mehr gelobt als jedes andere seiner Werke. Nicht nur der Musik wegen, so erstaunlich das sein mag.»
    «Für was denn noch?»
    «Für ihre Philosophie. Dass jedermann friedlich und brüderlich miteinander leben kann. Wolfgang hat sie zusammen mit seinem Freund Schikaneder geschrieben, dem Intendanten des Freihaustheaters. Nun ja, du solltest dich besser mit Schikaneder darüber unterhalten; aber für mich steht fest, dass
Die Zauberflöte
Wolfgangs Glauben an Gleichheit und brüderliche Liebe zum Ausdruck bringt.»
    «Wie das?»
    «Weißt du, ich verstehe nicht viel von diesen Dingen. Aber die Oper handelt von einer Prinzessin, Pamina, die eine ganze Reihe von Prüfungen bestehen muss, um die Liebe eines Prinzen, Tamino, zu erlangen. Die Priester sagen, dass eine Frau die Prüfungen nicht bestehen kann. Aber sie besteht sie. Ach, du solltest dir einfach die Oper ansehen und dir deine eigene Meinung bilden.»
    «Schikaneder führt sie immer noch auf?»
    «Vor ausverkauften Häusern.»
    Auf dem Klavier lag ein Exemplar von Bachs
Das wohltemperierte Klavier.
Ich wischte den Staub vom Umschlag. «In deinem Brief», sagte ich, «hast du etwas geschrieben von Wolfgangs – Vorahnungen.»
    Constanze runzelte die Stirn, aber ihre Überraschung kam mir gespielt vor.
    «Seine Angst, dass sein Tod bevorstand», fuhr ich fort. «Dass er vergiftet worden sei.»
    «Lass uns nicht darüber reden. Ich habe den Brief in sehr aufgewühltem Zustand geschrieben. Ich war nicht ganz bei Sinnen.»
    Zuerst wollte ich ihr sagen, dass ich den weiten Weg durch den Schnee bis nach Wien nicht gemacht hatte, um sie zu trösten. Stattdessen ergriff ich ihr Handgelenk. «Ich muss das wissen, Constanze. Ich bin seine Schwester. Sag es mir.»
    Lange starrte sie meine Hand an, fern und entrückt. Es war, als ließe sie die Wochen, in denen ihr Mann gestorben war, Revue passieren, als durchlebte sie noch einmal den Schmerz und suchte nach anderen Wegen, die sie hätte einschlagen können, um ihm zu helfen. Ich ließ ihren Arm los.
    «In seinen ruhigen Momenten», sagte sie, «war er immer stärker damit beschäftigt – nicht mit Musik, sondern mit düsterenGedanken. Er sagte zu mir: ‹Stanzerl, ich kann sie nicht abschütteln.› Er behauptete, mit
Acqua Toffana
vergiftet worden zu sein.»
    «Was ist das?»
    «Eine Mischung aus verschiedenen Giften.» Constanze schluchzte. «Ich kann einfach nicht glauben, dass er vergiftet wurde. Für seinen Trübsinn hätten so viele andere Dinge verantwortlich gewesen sein können. Er war überarbeitet. Er war hoch verschuldet – das meiste wegen mir.»
    «Wie das? Seine Kompositionen sind doch gewiss gut bezahlt worden?»
    «Meine letzte Schwangerschaft hat zu Komplikationen mit meinen Füßen geführt. Schlechte Durchblutung. Er hat mich nach Baden zur Trinkkur geschickt. Ich war einige Wochen von ihm getrennt. Das Hotel im Badeort war teuer.»
    «Waren ihm seine Schulden vielleicht so peinlich, dass er Depressionen bekam? So sehr, dass er davon überzeugt war, dass ihm jemand nach dem Leben trachtete?»
    «Das kann nicht sein. Die Einzigen, die überhaupt von seinen Problemen wussten, waren Prinz Lichnowsky und der arme Hofdemel. Beide waren Wolfgangs Logenbrüder.»
    «Du meinst, sie waren Freimaurer?»
    Constanze setzte sich in einen alten Damastsessel. «Wolfgang hat oft gesagt, dass es unter den Freimaurern keine Ungleichheit gebe. Kaufleute, Adelige, Händler und Musiker nahmen gemeinsam an den Treffen teil und trugen die Sporen und
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