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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie
Autoren: Matt Beynon Rees
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vorhatte. Vielleicht brauche ich es, wenn ich dazu komme, seine Biografie vorzubereiten. Sag mir, worum es sich handelt.»
    Stadler stützte die Ellbogen auf die Knie und beugte den Kopf tief über das Blatt. «Du willst das in seine Biografie aufnehmen?»
    «Ich möchte, dass die Leute die Geschichte seines Lebens lesen. Diejenigen, die seine Musik lieben, sollten den guten Menschen kennen, der sie komponiert hat.»
    «Durchaus.» Stadlers Stimme war nur noch ein Flüstern.
    «Eine Biografie von seiner Geburt bis zu seinen letzten Tagen. Ich hoffe, Nannerl wird sich für mich an die Geschichten aus Wolfgangs frühen Jahren erinnern.»
    Ich neigte zustimmend den Kopf.
    «Und also musst du, lieber Anton, mir mit seinen Wiener Jahren und seiner letzten Krankheit helfen.» Sie deutete auf das Papier in Stadlers Hand. «Schließlich hat er noch kurz vorm Ende an dieser Sache gearbeitet.»
    «Hat er das?» Stadler hob den Blick immer noch nicht von dem Blatt, obwohl es nur mit ein paar Sätzen beschrieben war.
    «Nun ja, es ist natürlich noch nicht fertig. Ich bin auch erst vor einigen Wochen seine Papiere durchgegangen, weil ich den Brief mit dem Auftrag für sein Requiem suchte, und damals war dieses Blatt noch nicht dabei», sagte Constanze. «Ja doch, ich glaube, das ist noch ganz neu.»
    «Es ist nichts, Constanze», sagte Stadler. «Nur eine seiner Fantasien. Nichts Ernsthaftes.»
    Er faltete das Papier zusammen, bis es so klein war, dass es in seiner Hand verschwand. Constanze zog einen Schmollmund und hätte wohl versucht, weiter in ihn zu dringen, aber im Nebenzimmer weinte das Baby. Mit einem entschuldigenden Lächeln ging sie, um das Kind zu beruhigen.
    Stadler führte seine Hand zur Jackentasche und beobachtete dabei durch die offene Tür Constanze, die sich über die Wiege beugte. Ich erblickte das Papier zwischen seinen Fingern.
    «Dürfte ich das noch einmal sehen?», fragte ich.
    Stadler schreckte auf, als hätte er sich allein im Raum gewähnt.
    «Die Notiz meines Bruders?» Ich streckte die Hand aus.
    Er öffnete die Lippen, um etwas zu sagen, zögerte jedoch. Fast schien es, als wollte er die Existenz des Papiers leugnen und es sich in den Ärmel schieben wie ein Falschspieler auf einem Wochenmarkt. Dann straffte sich sein Kinn, und er überreichte mir das winzige Papierquadrat mit einer galanten Handbewegung.
    Ich faltete das Blatt auseinander und zeigte auf die Zeile, die mich am meisten interessierte. «Welchen neuen Boden hätte diese Loge denn betreten?», fragte ich. «Was hat Wolfgang damit gemeint?»
    Stadler spitzte die Lippen, bewegte sie so, als würde er sie ums Mundstück seines Instruments stülpen. Vom ständigen Umgang mit der Klarinette waren sie geschmeidig und muskulös, aber mir gegenüber blieben sie fest verschlossen.
    «Sie haben doch bestimmt eine Vermutung», sagte ich. «Sie waren einer von Wolfgangs besten Freunden. Warum vollenden Sie seinen Essay nicht, worum Constanze sie gebeten hat? Er muss Ihnen doch seine Vision dieser
Grotte
erklärt haben. Er hätte doch zweifellos um Sie als Gründungsmitglied geworben.»
    «Seine Vision?» Stadler sah mich mit den Augen eines Händlers an, der mit einer gefälschten Rechnung ertappt wurde, ängstlich und unverschämt zugleich.
    «Sie veranstalten morgen für ihn ein Gedenkkonzert. Wie könnte man seiner besser gedenken, als in seinem Namen diese Loge zu gründen?»
    Stadler stand auf und trat ans Fenster. Er hielt sich am Rahmen fest und lehnte die Stirn ans kalte Glas.
    «Was Sie verlangen, kann ich nicht tun.» Sein Atem beschlug das Fenster. «Sie ahnen nicht, wie gefährlich das ist.»
    «Gefährlich?» Ich begriff, dass er damit rechnete, dass dieses Wort mich erschrecken und zum Schweigen bringen würde.Doch hegte ich längst den Verdacht, dass etwas viel Schlimmeres als ein Fieber meinen Bruder ums Leben gebracht hatte. Ich stieß ein leises, leicht spöttisches Lachen aus. «Sie übertreiben doch gewiss, Herr Stadler?»
    Er schüttelte den Kopf. «Wenn sie ihn lieben – geliebt haben, dann rate ich Ihnen dringend, sich nicht darauf zu versteifen, Madame de Mozart.»
    Fünf eiskalte Tage in einer unbequemen Kutsche. Drei Jahre mit kaum einem Wort meines toten Bruders. Ich hatte mich bereits eingelassen.
    Ich hielt das Blatt mit Wolfgangs Handschrift hoch. «Sagen Sie mir, was dieser Brief bedeutet, mein lieber Herr Stadler. Es kann unser Geheimnis bleiben.»
    Er entriss mir das Papier, zerknüllte es mit den Fäusten und
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