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Mosaik

Mosaik

Titel: Mosaik
Autoren: Jeri Taylor
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konnte. Es mochte aufregend sein, sich ins Unbekannte zu stürzen, aber er glaubte, bereits genug
    Aufregungen hinter sich zu haben.
    Derzeit konzentrierte er sich darauf, einen großen Kuchen zu verzieren. Das kulinarische Kunstwerk war dreieckig und bestand aus grissibianischer Nocha. Schokolade stellte das nächste im Alpha-Quadranten bekannte Äquivalent dar, doch Neelix vertrat die Ansicht, daß man sie eigentlich gar nicht mit dieser Spezialität vergleichen konnte. Nocha war viel aromatischer und cremiger, und das galt erst recht für die grissibianische Art, die beste von allen.
    Diese Nocha stammte von einem Händler, der dafür einen Liter vulkanisches Bier bekommen hatte. Neelix kannte vulkanisches Bier nur als ein in den Replikatoren gespeichertes Rezept, und außerdem wußte er, daß es sich bei der Besatzung großer Beliebtheit erfreute. Es war ein sehr nützliches Handelsgut: Meistens reichte eine Probe für den Abschluß des Geschäfts.
    Grissibianische Nocha war eine Köstlichkeit, die man nicht beschreiben konnte – man mußte sie erleben. Neelix erinnerte sich daran, als er sie das erste Mal probiert hatte, als Junge auf Rinax, vor dem schrecklichen Krieg, der seine ganze Familie auslöschte. Sein Vater hatte etwas von der Delikatesse auftreiben können und mit nach Hause gebracht. Er reichte dem Sohn ein kleines Quadrat aus einer unscheinbaren, öligen und
    beigefarbenen Substanz. Als Neelix vorsichtig hineinbiß, reagierten seine Sinne auf eine Weise wie noch nie zuvor. Die Nocha bewirkte eine Geschmacksexplosion in seinem Mund. Ihre Sahnigkeit breitete sich schlagartig aus, berührte alle Bereiche von Zunge, Gaumen, Hals und Magen. Die Süße erwies sich als sehr intensiv, verlor dadurch jedoch nicht an Reiz. Sie schien auf direktem Wege das Gehirn zu erreichen, erzeugte ein Gefühl von tiefem Wohlbehagen.
    Neelix’ Vater hatte damals gelacht, als er den Gesichtsausdruck seines Sohnes sah.
    Er hatte jenes Erlebnis nie vergessen. In der darauffolgenden Nacht kamen seine Eltern durch eine Explosion ums Leben, verursacht von einer Waffe namens ›metreonische Kaskade‹.
    Wenn er daran zurückdachte, so erinnerte er sich nicht nur an Grauen und Entsetzen, sondern auch an die wenigen Sekunden geschmacklicher Glückseligkeit.
    Der Kuchen war für zwei Personen bestimmt: für Kes, die er über alle Maßen verehrte; und für Tuvok. Neelix wollte endlich einmal sehen, wie der Vulkanier lächelte. Irgendwo in seinem Innern verbarg sich die Fähigkeit, Freude zu empfinden. An dieser Überzeugung hielt Neelix fest. Er hatte zahlreiche Versuche unternommen, Glück in das Leben des Vulkaniers zu bringen, doch Tuvok leistete noch immer hartnäckigen
    Widerstand. Mit dem grissibianischen Nocha-Kuchen glaubte Neelix, endlich einen Erfolg erzielen zu können. Niemand war in der Lage, köstlicher Nocha zu widerstehen, nicht einmal Tuvok.
    Der Talaxianer wollte einen Kuchen präsentieren, der nicht nur ausgezeichnet schmeckte, sondern auch höchsten Ansprüchen visueller Ästhetik genügte. Zu diesem Zweck preßte er bunten Zuckerguß aus einem modifizierten Injektor (den er aus der Krankenstation entwendet hatte; Neelix war sicher, daß der Doktor keine Einwände haben würde) und formte komplizierte Schnörkel auf der ansonsten glatten Oberfläche des Kuchens.
    Seine ganze Willenskraft war nötig, um die Nocha- Spezialität nicht zu probieren, bevor er sie Kes und Tuvok überreichte. Aus irgendeinem Grund glaubte er, er würde den feierlichen Augenblick dadurch schmälern, vielleicht sogar die Wirksamkeit des Kuchens herabsetzen. Er beugte sich darüber und schloß die Augen, genoß das schokoladenartige Aroma, ließ seine
    Wahrnehmung davon durchdringen. Es schien ihn aufzufordern, nur einen kleinen Bissen zu probieren, einen winzigen Brocken, den niemand vermissen würde.
    Doch Neelix widerstand diesem ganz besonderen
    Sirenengesang. Er war diszipliniert – eine weitere Eigenschaft, die er während seines rastlosen Lebens gelernt hatte. In dieser Hinsicht lautete seine Erkenntnis: Wenn man allen Verlockungen nachgab, so verlor man schnell den Scharfsinn. Wer es hingegen verstand, Verzicht zu üben, der schuf damit einen guten Schutz vor Selbstgefälligkeit und behielt die Kontrolle über sich.
    Er war so sehr mit der Verzierung des Kuchens beschäftigt, daß er nicht die leisen Schritte hörte, die sich ihm näherten.
    »Das sieht lecker aus«, ertönte Kes’ Stimme in unmittelbarer Nähe seines Ohrs.
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