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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly
Autoren: Peter Heinisch
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aufweichten). Und weil die so gut waren und weil es so angenehm hier war, bestellten sie gleich noch einige.
    Und dieser Hinterhofgarten war natürlich kein so geheimnisvolles Gesamtkunstwerk wie der
giardino
, den sie zuvor entdeckt hatten. Aber in all seiner Schlichtheit war auch er eine Entdeckung. Fast alles, was sie da umgab, war ihnen auf Anhieb sympathisch. Der großblättrige Baum in der Mitte, ein so genannter Elefantenbaum, der sich weiß Gott wie hierher verirrt hatte, das
Birra-Moretti
-Reklameschild im Hintergrund, die bescheidenen Beete entlang der weiß getünchten Mauer und der Rosmarinstrauch vor dem kleinen, vergitterten Fenster zur Küche.
    Dieser Rosmarinstrauch sogar ganz besonders. Gute zwei Meter hoch wuchs der – erstaunlich, wenn man sah, wie schmal der Streifen Erde war, der ihm zur Verfügung stand. Aber wer weiß, sagte Marco, wie tief hinab seine Wurzeln reichen. Er blühte und duftete würzig, und das Gesumm der Bienen und Hummeln, die ihn besuchten, hatte etwas sehr Anheimelndes.
    Auch eine Katze gab es, die auf einem der mit bunten Plastikschnüren bespannten Sessel döste. Und einen Kanarienvogel, der zu zwitschern begann, wenn Pietro den Türflügel, an dem sein Käfig hing, so weit öffnete, dass ein Sonnenstrahl auf ihn fiel. Man konnte das alles beinah als Idylle sehen. Allerdings gab es da auch die Schildkröten.
    Guarda, la tartaruga!
, sagte Marco, aber es war nicht nur eine.
Guarda un’altra! No, sono tre, sono quattro!
E guarda, che cosa fanno!
Schau, was sie machen! Genau: Diese sonst eher schwerfällig und langweilig wirkenden Reptilien waren erstaunlich agil.
    Wie rasch und eifrig sie sich fortbewegten! Daheim, jenseits der Alpen, hatte Julia nie so aktive Schildkröten gesehen. Die kleinen Einfriedungen um die Beete, in denen Pietro und Bruna nicht nur Blumen, sondern auch ein wenig Gemüse anbauten, versuchten sie immer wieder zu überklettern. Auch wenn sie dabei, durch ihre Panzer behindert, öfter umkippten, manchmal natürlich auch auf den Rücken fielen und dann mit ihren schuppigen Beinen so lang in der Luft rudern mussten, bis sie irgendwo Halt fanden oder eine mitleidige Menschenseele sie wieder in eine bessere Position brachte.
    Vor allem aber waren sie sexuell aktiv.
Ma guarda
, sagte Marco,
fanno l

amore!
Und tatsächlich, das taten sie. Jedenfalls wenn es schön warm war. Und das war es damals, an jenem ersten Vormittag in Pietros und Brunas Hinterhofgarten.
    War es peinlich, den Schildkröten beim Sex zuzusehen? Womöglich war Julia ein paar Augenblicke lang unsicher, aber das verflog. Nein, es war eigentlich nicht peinlich, sondern eher amüsant. Was meinst du, sagte Marco, vielleicht sollte ich einen Schildkrötenporno drehen und damit berühmt werden.
8
    Es folgten Tage, in denen sie manches für sich erschlossen. Die ihnen dann so vertraut gewordenen Ecken und Enden im
centro storico
, die Landstraßen, die Sandstraßen und Feldwege in der Umgebung. Tage, in denen sich auch Gewohnheiten einspielten. Gewohnheiten, die ihnen lieb wurden und die sie beibehielten.
    Morgens nach dem Aufstehen, das sich manchmal durch Scherze und Zärtlichkeiten erfreulich verzögerte, vorerst beim
tabaccaio
, der Antonio hieß und lustige, von Lachfältchen umrahmte Augen hatte, Zeitungen und Zigaretten kaufen. Wobei Marco und Antonio immer ein paar Meinungen über die politische Lage austauschten. In einem raschen, manchmal ironisch oder sarkastisch klingenden Wortwechsel, von dem Julia natürlich noch wenig verstand. Aber gewisse Wörter, Begriffe und Namen bekam sie doch mit. Manches versuchte ihr Marco dann auf dem Weg zum
Caffè Italiano
auf Französisch zu erklären. Aber sobald sie dort waren, bei Pietro und Bruna, wurde dieser kurze Lehrgang über die Perspektiven des Eurokommunismus meist unterbrochen und vertagt. Denn da mussten sie ja auf die immer freundliche Begrüßung durch die beiden Alten eingehen und vor der Vitrine gustierend die Panini oder Crostini aussuchen, die sie zum Cappuccino essen wollten. Manchmal hatte Julia auch Appetit auf ein kleines Dolce.
    Und dann fürs Erste ein wenig im Ort umherstreunen, ein bisschen Proviant besorgen in der kleinen
Coop
-Filiale neben der Casa del Popolo oder im
Alimentari
-Laden ein paar Häuser weiter. Bei Tullio, den die Leute im Ort
Il veloce
nannten oder
Lo svelto
, also
Der Geschwinde
oder
Der Flinke
, weil er so langsam war. Aber wenn man ein bisschen Geduld hatte, war es fast spannend, ihm zuzusehen, wie
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