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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly
Autoren: Peter Heinisch
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Daran ändert auch der Bart nichts, der damals für linke Intellektuelle nahezu obligat ist und von dem er sich erst mit etwa fünfzig trennen wird, sobald die grauen Haare darin überhandnehmen.
    Dann Julia in ein paar tänzerischen Posen auf dem so genannten Turnierplatz. Als sie noch ein kleines Mädchen war, hat ihre Mutter sie zum Ballettunterricht geführt, aber als sie ein etwas größeres Mädchen war und allein hingehen sollte, hat sie die Verrenkungen und Posen, zu denen sie dort gezwungen wurde, immer unangenehmer und blöder gefunden und ist während der Stunden, die sie im Ballettstudio verbringen sollte, lieber ins Kino gegangen. Hier aber, vor Marco,
für
Marco, lässt sie sich zu einer kleinen Vorführung hinreißen. Sie dreht sogar eine Pirouette, aber dabei wird ihr schwindlig, und er muss sie auffangen.
    Schließlich Marco und der Steintisch, an dem er sitzt. Eine ganze Reihe von Fotos (wieder von Julia fotografiert). Der Steintisch, an dem er dann noch ziemlich oft sitzen wird, unter den Steineichen, die auch hier oben wachsen, jenseits der freien, von zu viel Sonne vergilbten Rasenfläche, von der man am späteren Vormittag schon recht gern in den Schatten tritt. Da sitzt Marco auf der steinernen Bank und gestikuliert.
    Hier, sagt er, könnte ich mein Drehbuch schreiben. Das Drehbuch nämlich, das alles verändern würde. Falls es gelingt, einen Produzenten dafür zu finden. Und natürlich würde Marco dann auch Regie führen.
    Wie Chabrol, wie Truffaut, wie Godard, wie Buñuel und wie seine Vorbilder alle heißen. Und dann müsste er vielleicht doch kein Arzt werden. Bloß: Seiner Mutter wäre es halt ein Anliegen. Und wenn sich bis zum Ende seiner Turnusjahre nichts anderes ergibt, wird er sich wohl auf Augenheilkunde spezialisieren.
    Jedenfalls wird er gleich nachher unten im Ort ein Heft kaufen, ein
quaderno
, in dem er Gedanken zu seinem Film notieren will. Zwar weiß er noch nicht genau, was das für ein Film werden soll, doch vielleicht könnte er damit beginnen, dass ein Paar (die zwei müssen nicht unbedingt Marco und Julia heißen, aber Ähnlichkeiten sind nicht ausgeschlossen) in einen Ort kommt, der ihnen beiden vorher überhaupt kein Begriff war. Purer Zufall, dass sie hierher geraten sind, doch sie haben hier eine erste (sehr nette) Nacht verbracht. Und nun, am Morgen oder am Vormittag danach, haben sie einen Park entdeckt oder einen Garten, der hat was, da liegt was in der Luft, man spürt das, und was daraus resultiert, das wird sich schon noch weisen.
    Ja, dieser Tisch! Dieser Steintisch unter den Steineichen! Da war auch Miss Molly oft und gern gesessen. Etwa wenn die Kinder, die sie zu betreuen hatte – Chiara und Filiberta hießen sie –, vorne auf dem Turnierplatz spielten. Stimmt, auch sie sollten nicht allzu lang in der prallen Sonne bleiben, aber ihre italienische Haut war bei aller hochnoblen Herkunft bei weitem nicht so empfindlich wie Mollys englische.
    Wenn Miss Molly aus dem schmalen Haus in der Mauer hier heraufging, mit den Kindern oder allein, dann tat sie das nie ohne Sonnenschirm. Selbstverständlich hatte sie auch einen Polster dabei, den sie auf die steinerne Bank legte, bevor sie sich setzte, mit spitzem Popo, denn diese Bank war nicht nur hart, sondern auch kalt. Das spürte auch Marco in den folgenden Tagen. Er legte dann meist die
Stampa
unter oder die
Unità
, das waren die Zeitungen, die er täglich kaufte. Und dann saß er über dem Heft, Format A4, kariert, und wartete auf Einfälle.
    Miss Molly saß also im Schatten, der Sonnenschirm lag auf der Bank neben ihr, die Kinder spielten in der Sonne. Als sie noch klein waren, so zwischen fünf und sieben, spielten sie mit einem bunten Ball. Das wäre eine schöne Szene. Die Kinder in der Sonne, in Farbe, Miss Molly im Schatten, schwarzweiß. Doch
solche
Einfälle hatte Marco erst später.
    Zehn oder zwölf Tage später, nach dem Abend, den sie mit Mortimer verbrachten ... dem Abend, an dem er anfing, ihnen seine Geschichte mit Miss Molly zu erzählen ... eine Geschichte, deren Fortsetzung er für den folgenden Abend ankündigte ... Dass es dazu nicht mehr kam, war vielleicht der Grund, warum diese Geschichte ihre Fantasie auf ganz besondere Weise anregte.
    Aber davon hatten sie jetzt noch keine Idee. An ihrem ersten Vormittag in diesem Ort. Es war übrigens schon spät am Vormittag, bald würden die Glocken der Kirche Santa Maria Assunta, deren Campanile man auch vom
giardino
aus sah (eine recht
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