Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly
Autoren: Peter Heinisch
Vom Netzwerk:
Fantini wollte ihm nicht zuhören.
    Das war ein Traum, den der Sohn leider öfter träumte. Ein Traum mit einer fatalen Tendenz zur detailgetreuen Wiederholung. Möglich, dass er ihn gerade wieder geträumt hatte, als Marco und Julia zum ersten Mal bei ihm auftauchten. Möglich, dass er ganz froh war, dass ihn die beiden aus dem Nachmittagsschlaf weckten.
    Buongiorno
, rief eine Stimme,
c

è qualcuno?
Das war Marcos Stimme. Und das kam so: Marco und Julia hatten, wie gesagt, schon zum Auto zurückgehen wollen. Aber da hatten sie die offene Tür gesehen.
    Das heißt, eigentlich war es nur eine halboffene Tür. Gegenüber der Casa del Popolo. Eine halboffene Tür, gerahmt von einem, wenn man genauer hinsah, recht schönen Portal aus Travertin. Aber in dieser Situation sahen Marco und Julia noch nicht genauer hin.
    Auch die fast elegant geschliffenen Milchglasscheiben in den Türflügeln aus schwarz lackiertem Holz beachteten sie kaum. Es ging ihnen darum festzustellen, ob da jemand war. Jemand, den man nach einem Lokal fragen konnte. Denn vielleicht – dieser Funke Hoffnung glomm nun wieder auf – vielleicht gab es ja doch eines in diesem Ort, und sie hatten es nur nicht gefunden.
    Diese kleine Chance wollten sie einfach noch wahrnehmen. Denn auch der Gedanke, zum Auto zurückzugehen, war bei der Hitze, die immer noch herrschte, alles andere als verlockend. Sie hatten Durst. Sie hatten Hunger (auch wenn ihnen der schon fast vergangen war). Und ehrlich gestanden waren sie inzwischen auch recht müde.
    C’è
qualcuno?
, rief Marco also. Ist da jemand? Und hatte die halboffene Tür schon etwas weiter geöffnet.
Buongiorno!
, rief er. Oder (vielleicht war das dem fortgeschrittenen Nachmittag schon angemessener):
Buona sera!
Von drinnen wehte ihnen ein kühler Hauch und ein dezenter Duft von Naphthalin entgegen.
    Dass sie soeben die Schwelle des Hotels übertreten hatten, in dem sie dann nicht nur die nächsten zwei Wochen, sondern in der Folge noch ungeahnt viel mehr Zeit verbringen sollten, wussten sie in diesem Moment natürlich noch nicht. Sie begriffen ja noch nicht einmal richtig, dass sie im Flur eines Hotels standen. Von außen hatten sie das Gebäude nicht als Hotel erkannt. Die kleine Tafel am linken Türflügel (
Albergo & Affittacamere
stand da), diese kleine Messingtafel am linken Türflügel hatten sie glatt übersehen.
    Und eigentlich wollte Marco ja nur etwas fragen.
    Solo una domanda
, sagte er zu dem Mann, der die Treppe herunterkam, auf dem Kopf einen Strumpf statt einem Haarnetz – der Mensch sah ein bisschen aus wie ein verschlafener Pirat. Kann man hier irgendwo etwas zu trinken bekommen? Wir sind am Verdursten. Und finden kein offenes Lokal.
    Etwas zu trinken?, sagte Fantini junior.
Il giovane Fantini
hatte man ihn im Ort lange Zeit genannt, aber inzwischen war er schon längst nicht mehr jung. Er war auch nicht wirklich alt, auch wenn ihm schon einige Zähne fehlten. Die waren nach und nach ausgefallen, wie die Buchstaben an der Fassade abgefallen waren.
    Die paar Goldkronen, die jetzt aufblitzten, hatte man ihm schon früher verpasst. Aber so etwas konnte er sich schon seit längerem nicht mehr leisten.
    Ich habe
Acqua minerale
und
Tè freddo
im Eisschrank, sagte er. Das hier ist keine
Osteria
, sondern ein Hotel, aber verdursten lassen werde ich Sie nicht.
    Ein Hotel?, sagte Marco.
    Ma certo, un albergo
.
    Und? ... Marco sah sich nach Julia um ... Hätten Sie ein Zimmer frei?
    Con letto matrimoniale?
    Sì. Con letto matrimoniale
.
    Sollen wir?, fragte Marco.
    Ja, sagte Julia. Ich glaube schon.
    Und das war’s dann. Das Bett hing zwar ziemlich durch. Aber sie waren froh, dass es für sie da war. Später legte ihnen Fantini ein Brett unter die Matratze. Aber an diesem Nachmittag, an dem sie vorerst sofort einschliefen, und an diesem Abend, an dem sie dann umso munterer wach waren, genügte das Bett, wie es war, durchaus ihren Ansprüchen.
7
    Den Garten entdeckten sie erst am nächsten Morgen. Das heißt, es war schon am späteren Vormittag. Sie hatten (natürlich) etwas länger geschlafen. In der Nacht war das Treiben unter ihrem Fenster lang nicht zur Ruhe gekommen – ganz im Gegensatz zu dem Eindruck, den sie um die Stunde ihrer Ankunft gehabt hatten, war dieser Ort offenbar von jeder Menge lebendiger Menschen bewohnt, die sich bei gutem Wetter auf der Piazza trafen und sich alle gleichzeitig zu unterhalten schienen.
    Es war also möglicherweise schon gegen elf. Es kam ihnen allerdings
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher