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Morgen wirst du sterben

Morgen wirst du sterben

Titel: Morgen wirst du sterben
Autoren: Gina Mayer
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bei Birgit ausgezogen war, hatte Annette sich schon sehr verändert. Ihre Krankheit, die Schizophrenie, das hat damals angefangen. Irgendwann ging es einfach nicht mehr. Sie hörte Stimmen, sie hatte Wahnvorstellungen, sie war vollkommen durch den Wind.«
    »Hast du sie einweisen lassen?«, fragte Sophia.
    Er nickte. »Es ging nicht mehr«, wiederholte er. »Sie war auch eine Gefahr für den Jungen.«
    »Der arme kleine Kerl«, flüsterte seine Frau. »Er hatte schon seinen Vater verloren. Und dann hast du ihn auch noch fallen lassen.«
    »Ich hätte ihn nicht zu mir nehmen können«, sagte Herr Rothe. »Ich war ja nicht sein Vater.«
    Frau Rothe zuckte mit den Schultern.
    »Er kam einmal zu mir«, sagte Herr Rothe nach einer Weile. »Es ist ein paar Jahre her. Er tauchte in diesem Kongresszentrum in Kiel auf, ich erinnere mich noch daran. Es war mir unangenehm.« Er fuhr sich nervös durch die Haare. »Ich hab mich total falsch verhalten, total falsch«, flüsterte er.
    »Vielleicht war das der Auslöser«, sagte Philipp. »Danach hat er beschlossen, sich zu rächen.«
    »Warum bist du in seinen Wagen eingestiegen?«, fragte Julie. »Die Polizei sagt, dass du dich nicht gewehrt hast. Wenn er dich schon mal aufgesucht hat, musst du ihn doch wiedererkannt haben.«
    »Er sah damals ganz anders aus«, sagte Herr Rothe. »Seine Haare waren länger, damals war er auch viel dicker. Als er mit dem Auto neben mir gehalten hat, hat er mir erzählt, dass Moritz einen Unfall hatte und im Krankenhaus liegt. Er sei sein Freund und würde mich zu ihm bringen. Da bin ich eingestiegen. Ich war vollkommen durcheinander, ich hab ihn gar nicht richtig angesehen.«
    »Das kann doch wohl nicht wahr sein!«, sagte Moritz. »Ein wildfremder Mann erzählt dir, dass dein Sohn im Krankenhaus liegt, und du steigst einfach zu ihm ins Auto?«
    »Du hast auch anonyme Nachrichten bekommen, stimmt’s?«, meinte Philipp.
    Sein Vater nickte. »Er hat mir eine SMS geschickt, kurz bevor ich mit Sophia zur Polizei wollte. Es war …« Er schüttelte den Kopf und unterbrach sich.
    »Was hat er dir geschrieben?«, fragte seine Frau. »Los, raus mit der Sprache! Schlimmer kann es doch nicht mehr werden.«
    Herr Rothe nickte. »Frauennamen«, sagte er leise. »Eine Liste mit Frauennamen.«
    »Deine Affären«, sagte Frau Rothe.
    »Und ein Satz: Lass die Polizei aus dem Spiel, dann wird deinen Kindern nichts passieren.«
    »Und darauf hast du dich eingelassen?«, fragte Sophia entgeistert. »Der Typ schickt dir eine SMS und du kneifst den Schwanz ein? Nur damit deine Affären nicht rauskommen?«
    »Ich dachte, er will Geld. Ich wollte erst einmal abwarten, bis er sich wieder meldet. Ich konnte doch nicht ahnen, wie irre der Typ war.«
    »Das wurde dir aber klar, als er Egon ertränkt hat.«
    Ihr Vater nickte. »Da hat er mir die zweite Nachricht geschickt. Zu Hause erwartet dich eine schöne Überraschung oder etwas in der Art.«
    »Trotzdem konntest du dich immer noch nicht dazu entschließen, zur Polizei zu gehen.«
    »Doch«, sagte Herr Rothe. »Ich war auf dem Weg zur Polizei, als dieser Wagen neben mir hielt. Das könnt ihr mir glauben oder nicht, aber es stimmt. Ich wollte Anzeige erstatten. Nur war es schon zu spät. Er muss mich irgendwie betäubt haben, ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Ich weiß nur, dass ich in diesem Keller wieder aufgewacht bin. Jens hat sich tagelang nicht blicken lassen. Und wenn er da war, hat er nicht mit mir gesprochen. Er trug eine Maske, die ganze Zeit trug er eine Maske. Ich hab ihn angefleht, ich hab ihn beschworen, ich hatte ja keine Ahnung, wer er war. Nur ein einziges Mal kam er zu mir. Beugte sich zu mir runter und fragte mich : Weißt du, wer du bist?«
    »Und was hast du geantwortet?«, fragte Sophia.
    »Nichts. Ich brachte keinen Ton heraus.«
    »Und dann?«
    »Hiob, sagte er. Du bist Hiob.
    Und du, wer bist du?, hab ich ihn gefragt.
    Ich bin Gott, sagte er.«
    »Er ist genauso wahnsinnig wie seine Mutter«, meinte Julie.
    »Er wollte mir alles wegnehmen. Und er hätte es fast geschafft.« Herr Rothe legte die Hände vors Gesicht.
    Frau Rothe nickte. »Aber er hat es nicht geschafft«, sagte sie. »Du lebst. Und die Kinder auch. Alle. Sogar Jens. Vielleicht wird irgendwann alles wieder gut.«
    Philipp schenkte Julie Kaffee nach. Moritz reichte ihr die Milch.
    Wie ähnlich sie sich sehen, dachte Sophia. Philipp und Julie und Moritz. Und Papa. Wie ähnlich sie sich sind. Nur ich bin aus der Art geschlagen.
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