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Morgen wirst du sterben

Morgen wirst du sterben

Titel: Morgen wirst du sterben
Autoren: Gina Mayer
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konnte ihn aufhalten.
    »Los, antworte! Warum willst du Sophia töten?«, fragte Philipp.
    Und jetzt sah Sophia Jens an. Wie er dastand, mit seiner Pistole in der Hand, und seinen Sieg genoss.
    »Warum?«, fragte sie ebenfalls.
    Und merkte, wie Jens die Kontrolle verlor, wie sein Blick von Philipp zu ihr herüberflatterte. Bis er ihn wieder einfing und zurückholte.
    »Sophia ist nicht wie wir«, sagte Philipp. »Das weißt du.«
    Julies Kopf sackte noch weiter auf ihre Brust. Langsam schien das Leben aus ihrem Körper zu rinnen, es versickerte Tropfen für Tropfen im Teppich.
    »Das stimmt nicht«, widersprach Sophia. »Ich bin vielleicht anders. Aber ich bin auch nicht besser.«
    Jens’ Blick flog erneut zu ihr und wurde wieder zurückgerissen.
    »Ich habe eine Klassenkameradin so gemobbt, dass sie die Schule verlassen hat«, sagte Sophia. »Nur damit die anderen mich akzeptieren. Und ich würde alles dafür geben, so beliebt wie Moritz zu sein. Oder so schön und stark wie Julie oder so erfolgreich wie Philipp. Bin ich aber nicht. Ich bin hässlich und fett und nicht besonders intelligent.« Sie sah Jens an und sah Felix in ihm und spürte noch einmal, wie sehr sie ihn geliebt hatte. Und erinnerte sich an das erste Gespräch im Stehcafé und wie er plötzlich bei ihr zu Hause aufgetaucht war und wie sie gestern telefoniert hatten. Und während sie vor Liebe brannte, hatte Jens seine Waffe geladen. Und während sie vor Glück fast zersprungen war, hatte er sich angeschlichen. »Wie konntest du mir das nur antun«, sagte sie.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich hab dir nichts vorgemacht. Und ich hab dich auch nicht angelogen. Wenn du nicht Jochens Tochter wärst, dann wären wir … dann hätte ich …«
    »Was?«, fragte Sophia. »Was hättest du?«
    »Du willst uns richten?«, fragte sie, als er nicht antwortete. »Du urteilst über Julie und Philipp und Moritz und unseren Vater und bist doch selbst so erbärmlich. Und verlogen. Ich habe dich geliebt. Und Julie hat dich geliebt.«
    Und während sie redete, wich allmählich ihre Angst. Vielleicht lag es daran, dass Jens ihr nicht in die Augen sehen konnte. Man muss einen Menschen anschauen, bevor man ihn erschießt. Vielleicht hatte sie auch einfach genug vom Leben. Felix, den sie geliebt hatte, existierte nicht mehr. Ihre Liebe war nur ein Traum gewesen, eine Fantasie. Es war vorbei, für sie war alles vorbei. Es machte keinen Unterschied, ob sie dem Ganzen jetzt ein Ende setzte oder noch zwanzig oder vierzig oder auch achtzig Jahre wartete. Es war vorbei, für sie war alles vorbei.
    Sie schob Julies schweren Kopf vorsichtig von ihrer Schulter und bettete ihn auf die Sofalehne. Dann erhob sie sich.
    »Sophia«, sagte Jens warnend.
    »Bleib sitzen«, murmelte Moritz.
    »Sei vernünftig, Sophia.« Das war Philipp.
    Aber sie hörte nicht. Beim Aufstehen nahm sie die Bewegung vor dem Fenster wahr. Einen Schatten, der vorüberhuschte. Da war jemand.
    Etwas.
    »Setz dich wieder hin!«, befahl Jens.
    »Nein.« Sie ging nicht auf ihn zu. Sie ging zum Fenster und blickte hinaus in den Garten, in dem es nicht mehr regnete. Das Wasser tropfte von den Blättern und Zweigen und Ästen wie Tränen, wie Blut. Kein Mensch weit und breit. Sie hatte sich getäuscht.
    »Setz dich wieder hin!«, sagte Jens noch einmal, diesmal lauter. Es war nicht gut, ihm den Rücken zuzudrehen. Sie wandte sich zu ihm um.
    Und nun endlich begegnete er ihrem Blick. Sie hielt sich an ihm fest und ließ ihn nicht mehr los. Sie sah Jens an, als wäre er nicht der Feind, der sie töten wollte, sondern ihr Freund, ihr Geliebter, ihr Retter.
    »Setz dich, Sophia!«, sagte Jens jetzt ganz leise.
    »Töte mich!«, erwiderte sie. »Worauf wartest du noch?« Und merkte, wie er seinen Blick von ihr lösen wollte, und wusste, dass sie verloren war, dass sie alle sterben würden, wenn das geschah.
    »Sieh mich an, Jens«, sagte sie.
    Da schloss er die Augen und drückte ab.

D er Ordner packt mich an einem Oberarm und ein zweiter Ordner packt mich am anderen und dann marschieren sie mit mir raus. Und draußen lassen sie mich los und ich gehe zu meinem Auto und fahre wieder zurück und diesmal brauch ich sieben Stunden für fünfhundert Kilometer, weil ich immer wieder anhalte.
    Um zu heulen. Jetzt kommt’s raus. Ich heule die ganzen Scheißtränen, die ich mein Leben lang zurückgehalten habe. Aber irgendwann ist mein Kopf leer. Und da fang ich an zu denken. Was machst du jetzt?, denke ich. Wie geht’s
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