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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns
Autoren: J Douaihy
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Soldaten seinem Kameraden erzählen, wie sich im letzten Jahr die Schneeschmelze verzögert habe, wie dann der Fluss angeschwollen sei und die Holzbrücke mit sich gerissen habe, an deren Stelle man daraufhin die Eisenbrücke errichtete. Beide hatten die Gewehre geschultert und starrten ins trübe Wasser. Ich versuchte meine Tante zu fragen, was los sei, doch sie brachte mich zum Schweigen, indem sie mir die Hand auf den Mund legte, als hätte ich einen schweren Fehler begangen. Die Frauen setzten sich in Begleitung der Schüler zu Fuß in Richtung Dorf in Bewegung. Es war eine seltsame Prozession. Meine Tante nahm mich an der Hand und marschierte mit mir los. Ich glaube, ich schaute mich immer wieder um, um zu erfahren, was meine Kameraden taten, die von niemandem abgeholt wurden; sie blieben stehen und warteten bei den Soldaten. Niemand kam, um die beiden fremden Schüler in Empfang zu nehmen, vielleicht hatten ihre Eltern nicht damit gerechnet, dass sie so plötzlich auftauchen würden. Ich habe keine Ahnung, warum ich mir um sie Sorgen machte, betraf die Gefahr doch die Fremden nicht.
    Ghirb, oder in einigen Dialekten Ghurb, das ist der Plural von Gharîb, Fremder, es bedeutet also die Fremden. Und Gharb bedeutet der Westen, es ist genau die Richtung, aus der jene kommen, die nicht von uns sind, jene, die von außerhalb zu uns kamen. Nur allzu gerne behaupten wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass uns jene Eindringlinge nicht ans Herz gewachsen seien. Diese Fremdlinge haben etwas an sich, was sie als solche entlarvt, sobald sie den Mund auftun. Den Fremden verrät zuallererst sein meist sonderlicher Akzent, und wir wundern uns sehr darüber, wie es geschehen kann, dass mitunter ein Vetter oder ein Nachbar, der ein oder zwei Jahre eine Schule in der Nähe der Hauptstadt besucht hat, diesen Akzent annimmt, so dass er sich in seiner Redeweise den Leuten aus Beirut oder Kasrawân annähert. Wir billigen diese Akzente in keiner Weise, und erfolglos versuchen wir sie nachzuahmen, um uns über ihre Sprecher lustig zu machen, die ans Ende der Worte ein Sch anhängen oder den Buchstaben Qâf so hart aussprechen wie die Bewohner des Schuf-Gebirges und nicht so flach wie ein Hamza, ein gutturaler Stopp, wie wir es zu tun pflegen. Als ließen diese lächerlichen Eigenarten den Sprecher auf ein undiskutierbares Niveau von Dummheit und Verstandesschwäche sinken, welches wir nicht ertragen können. Und wenn sie es uns heimzahlen, indem sie ihrerseits über unseren Dialekt spotten, bei dem wir die Konsonanten nur allzu häufig mit einem U vokalisieren, so dass der »Bruder« – Khaiji – sich in Khaiju verwandelt, und der »Vater« von Baiji zu Baiju wird, dann rechtfertigen wir das mit dem syrischen Erbe, sei doch das Syrische, so behaupten wir mitunter, unsere ursprüngliche Sprache, was keinesfalls ein Makel sei, sondern ob der weit zurückreichenden Abstammung zu Stolz Veranlassung gebe. Auch und besonders durch sein Essen verrät sich der Fremde, insbesondere durch die Art der Herstellung von Weizengrützenbällchen, die unter den Händen der Fremden dick und breit werden und denen sie Gewürze beimischen, um sie schmackhaft zu machen. Aber auch durch Gerichte, deren Namen wir zwar kennen, von denen sich in unserer Küche jedoch nicht die geringste Spur findet, wie zum Beispiel Arnabîja 1 oder Ablama 2 . Der Fremde wird auch nicht gezählt. Ruft man sich etwa Ereignisse ins Gedächtnis, bei denen Tote und Verletzte zu beklagen waren, dann werden die Fremden nicht erwähnt, weder namentlich noch mit der Anzahl ihrer Opfer. Und wenn sich die Nachricht von einem Unfall herumspricht, einem Mord oder dem Zusammenstoß von Autos, so besänftigen sich die Gemüter nur allzu rasch, wenn irgendjemand lauthals verkündet, das Opfer sei »ein Fremder«. Dann legt sich die Aufregung und alle sind beruhigt. Eine Ehefrau aber, die von einem jungen Mann von außerhalb des Dorfes mitgebracht wird, bleibt namenlos, sie bleibt »die Fremde«. Im Allgemeinen wird nicht dazu geraten, außerhalb des Dorfes zu heiraten, denn die Frau wird auf jeden Fall Ansprüche stellen und den Mann, den nur eine Tochter seines Dorfes ertragen kann, überfordern. Das »Fremdsein« beginnt nicht in einer Entfernung von Kilometern, sondern schon gleich, sobald man das Dorf nur einige hundert Meter hinter sich gelassen hat, es beginnt bei dem ersten Dorf, dessen Gärten sich mit unseren mischen … Wie lange es aber dauert, wirklich zum Dorf zu
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