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Mordsviecher

Mordsviecher

Titel: Mordsviecher
Autoren: Nicola Förg
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zu entladen. Er hatte verschließbare Plastikbehälter dabei, Nylonsäcke, Styroporkisten, einen Schlangenhaken, Greifzange, Handschuhe und eine Gesichtsmaske. »Falls eine Speikobra dabei ist«, erklärte er.
    Sie folgten ihm mit den Utensilien beladen zu besagtem Gebäude. Der Schlangenbeschwörer hatte eine Taschenlampe dabei, die einen ersten vorsichtigen Lichtstrahl in den Raum schickte. Schon bald fand er einen Lichtschalter, und augenblicklich war der Raum taghell. Blendend hell.
    »Sie bleiben draußen! Ich seh schon von hier, dass die Viecher hier in Gitterkäfigen gehalten werden. Ist in Deutschland offiziell verboten. Hat auch den Nachteil, dass da leichter Tiere abhandenkommen. Ein vernünftiges Terrarium ist an sich ein- und ausbruchssicher. Wie Alcatraz.« Er lächelte. »Ich verschaff mir erst mal einen Überblick.«
    Er verschwand im Inneren und war relativ schnell wieder draußen. »Das Untier ist ein Waran. Abgemagert und unterkühlt. Den hab ich schon mal in eine Styroporkiste gepackt. Ist völlig harmlos. Die allermeisten Echsen sind nämlich ungiftig. Trotzdem wird das hier ziemlich uferlos. Rufen Sie bitte die Münchner an, ich brauch Hilfe«, sagte er an die Amtstierärztin gewandt. »Dabei war ich nur im vorderen Raum, es gibt aber mindestens noch einen zweiten. Zumindest ist da eine Tür.«
    Irmi stellte sich vor, wie er – sobald er die zweite Tür öffnete – von Schlangen attackiert wurde. Es war ein apokalyptisches Bild, auf dem schwarze Schlangen niederfuhren. Woher hatte sie solche Weltuntergangsbilder?
    Ihre Gedanken schweiften umher wie Scheinwerfer im Nebel. Diffus. Thor und die Midgardschlange hatten sich gegenseitig getötet, war das so gewesen? Dabei wusste sie, dass Schlangen so ziemlich alles taten, um vor den Menschen zu flüchten. Sie hatte im Laufe ihres Lebens genug harmlose Ringelnattern angetroffen, die sich schnell aus dem Staub gemacht hatten. Und sie wusste, dass die Kreuzotter den trampeligen Menschen scheute und schon fünf von ihnen gleichzeitig zubeißen müssten, um für den Menschen eine akute Lebensgefahr zu bedeuten. Aber Schlangenangst hatte nichts Rationales, und die Situation hier war einfach gespenstisch.
    »Warum haben wir bloß solche Furcht vor Schlangen?«, fragte Irmi laut.
    »Wissen Sie, Schlangenangst ist heute eher eine Erziehungsfrage. Früher war das anders: Als die Bauern bei uns noch mit der Sense mähten, war der Respekt vor Schlangen oft lebensnotwendig. Und in Australien zum Beispiel tut man sich schwer, eine Schlange zu finden, die nicht giftig ist.« Er zuckte mit den Schultern und ging wieder hinein. Irmi sah ihm nach, heftete ihre Augen an die Tür.
    Nach einer Weile kam der Schlangenmann wieder. Sein Gesichtsausdruck war ernst. »Das ist jetzt allerdings … ich meine, das ist jetzt ungut«. Er suchte Irmis Blick. »Da drin liegt ein Mann. Tot. Und ich befürchte, er ist umgeben von ganzen Scharen von Mordverdächtigen: nicht nur Schlangen, sondern auch Spinnen, Schwarzen Witwen zum Beispiel. Ihren Biss merkt man kaum, aber sie verfügen über ein Nervengift, auf das manche mit extrem starken Unterleibsschmerzen reagieren. Und natürlich gibt es Skorpione da drinnen. Den Arabikus beispielsweise, der ungleich giftiger ist als der schwarze Skorpion. Pfeilgiftfrösche sind auch dabei.«
    Irmi fühlte sich überfordert und müde. »Sie meinen, irgend so ein giftiges Tierchen hat den Mann ins Jenseits befördert?«
    »Die Vermutung liegt nahe. Ich habe auch keine Schussverletzung oder irgendwas anderes Auffälliges gesehen. Recht unversehrt der Mann, man könnt meinen, die Pupillen sind etwas kleiner. Ich bin ja kein Profi, aber …« Er brach ab.
    Irmi wurde klar, was das bedeutete: Erstens war sie nun schlagartig zuständig, und zweitens würde sich die Sache auch ermittlungstechnisch zur Hölle ausweiten. Sie konnten schließlich nicht einfach so ins Gebäude marschieren. Die potenziellen Mörder waren alle noch vor Ort – lauter hochgiftige Tiere wie Klapperschlangen, Vipern, Cobras, Spinnen und Skorpione.
    »Sie können wahrscheinlich nicht ausschließen, dass da irgendwelche Tiere noch immer frei rumlaufen, oder?«, fragte Kathi.
    »Es wäre am sinnvollsten, auf die Münchner Kollegen zu warten, erst mal die Tiere sicherzustellen und dann den Mann herauszuholen. Tot ist er ja schon.« Er zuckte bedauernd die Schultern. »Da bin ich mir zumindest sicher.«
    Wenn die Reptilienpatrouille gleich überall herumkroch, war es nahezu
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