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Mordsviecher

Mordsviecher

Titel: Mordsviecher
Autoren: Nicola Förg
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Wellensittiche in ihrer Verzweiflung die Kaninchen angenagt haben. Es sind auch verweste Tiere darunter. Da müssen wir uns noch einen Überblick verschaffen, mein Chef ist schon drin. Das erspar ich Ihnen. Wissen Sie, Frau Mangold, Nager können nicht bellen oder miauen. Sie krepieren stumm und quälend langsam. Kommen Sie!«
    Aus dem Gebäude mit den Kaninchen quoll ein Geruch, der Irmi fast den Atem nahm. Sie schaute starr geradeaus und folgte Doris Blume in den Hundezwinger. Zum Glück waren hier längst ein halbes Dutzend Tierschützer und zwei Tierärzte zugange.
    »Können Sie versuchen, die zwei Hunde da hinten milde zu stimmen?«, fragte die Amtstierärztin. »Riskieren Sie nichts, aber vielleicht können Sie die beiden bestechen.« Sie warf ihr eine Tüte Leckerlis zu. »Und falls sie irgendwas davon annehmen, bitte auf dieses Spezialfutter umsteigen. Die haben außer Würmern nichts im Magen, die müssen sich langsam an Nahrung gewöhnen.« Sie warf ihr noch zwei Beutel zu. Irmi erkannte die Packungen: ein sündhaft teures Futter für Hunde mit Niereninsuffizienz oder für Rekonvaleszenten.
    Der Raum hatte etwas von einem Bunker. Bis auf wenige winzige vergitterte Fenster war er düster. In einer Nische befanden sich zwei Hunde. Irmis Augen mussten sich erst ans Halbdunkel gewöhnen. Sie näherte sich langsam. Der eine Hund zog die Lefzen hoch und knurrte. Der andere hatte die Rute eingeklemmt und starrte sie mit riesigen Augen an.
    Irmi behielt den knurrenden im Auge. »He, ich versteh ja, dass du schlechte Laune hast, aber würdest du mir bitte glauben, dass ich dir helfen will?« Knurren. »Du, ich weiß, dass das etwas schwer zu glauben ist in deiner Situation, aber ich bin eigentlich eine ganz Nette.«
    War sie eine Nette? Ja, natürlich. Sie war ihr ganzes Leben lang unkapriziös gewesen. Hatte immer getan, was eben getan werden musste. Hatte selten geklagt, und wenn, dann im stillen Kämmerlein. Sie hatte nie Allüren entwickelt, selten gezickt. Wahrscheinlich hatte sie deshalb auf Dauer auch keinen Mann halten können, die Drama-Queens hatten da bessere Karten. Männer fühlten sich wohl mehr geliebt, wenn eine Frau ihretwegen so richtig hysterisch wurde.
    Man kann niemanden zwingen, einen zu lieben, hatte sie immer gedacht. Aber offenbar konnten das manche Frauen eben doch. Sie zwangen Männer zum Bleiben. So wie die Frau von ihm . Er war bei ihr geblieben, und Irmi hatte sich in die Rolle der Geliebten drängen lassen.
    Sie sah die beiden Hunde an. Plötzlich war sie sich sicher, dass es zwei Hündinnen waren. Mutter und Tochter. Dabei hätte sie gar nicht sagen können, warum. Sie sah die Tochter an, die mit der eingeklemmten Rute und den panischen Augen.
    »Mädelchen, ich werf dir mal was Feines hin. Probier mal.« Ein Leckerli flog zwischen sie und die Hündin. Die Mutter knurrte.
    »Mama, du musst dein Kind nicht mehr beschützen, das übernehmen jetzt andere für dich. Du musst dich mal entspannen, Mama. Mamachen …« Wieso hatten Tränen nur so ein Eigenleben? Irmi war immer der Meinung gewesen, dass man mit Tieren reden konnte. Vielleicht verstanden sie nicht den exakten Inhalt, aber sie verfolgte die Theorie, dass der Inhalt der Rede den richtigen Tonfall verlieh. Bei ihren Kühen und Schafen funktionierte das, auch wenn ihr Bruder Bernhard sie deswegen immer belächelt hatte.
    Irmi warf der kleinen Hündin noch ein Leckerli hin. Die Mama knurrte nicht mehr. Und ganz langsam machte die Tochter einen Schritt nach vorne. Schnappte das Leckerli und quetschte sich wieder in die Ecke.
    »Gute kleine Lady.«
    Die Tochter schnappte sich das zweite Leckerli. Irmi warf ihr noch eins hin und dann eines vor die Füße der Mutter. Man konnte sehen, wie sie mit sich rang, doch letztlich siegte der Hunger: Sie nahm es.
    Nach einigen weiteren Leckerlis öffnete Irmi den Beutel mit dem Spezialfutter. Doch da war keine Futterschüssel. Himmel, als würde das etwas ausmachen. Diese Tiere hatten zwischen Exkrementen überlebt, da war eine Schüssel verzichtbarer Luxus. Wo war eigentlich die Normalität geblieben? Einerseits Goldnäpfe und Diamanthalsbänder für die Haustiere, andererseits Kreaturen wie diese. Warum wurde die Welt immer extremer? Weil die Menschen immer irrer wurden?
    Irmi näherte sich auf etwa fünfzig Zentimeter, verteilte den Inhalt der Tüten auf zwei Häufchen und ging wieder einen Schritt zurück. Die beiden Tiere fraßen, nein, schlangen das Futter in sich hinein.
    Doris Blume
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