Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eifel-Kreuz

Eifel-Kreuz

Titel: Eifel-Kreuz
Autoren: Jacques Berndorf
Vom Netzwerk:
Erstes
Kapitel
    Es war so ein Morgen, an dem alles schieflief. Wie üblich
schwebte ich in tranigem Zustand die Treppe hinunter in die Küche und
versuchte, einen Kaffee herzustellen. Mein Hund Cisco stürmte in den Raum und
sprang an mir hoch, weil er wahrscheinlich der Meinung war, er habe mich vier
Wochen nicht gesehen. Dazu jaulte er von Herzen, bellte ein paarmal und
pinkelte in heller Begeisterung eine Serie hübscher, mattgelber Ornamente auf
die Küchenfliesen. Von dem Getöse angelockt, erschien mein Kater Satchmo, verzog
sich beim Anblick Ciscos aber sicherheitshalber auf den Küchentisch, fauchte
kurz und machte sich über eine halbe Frikadelle her, die ich dort über Nacht
deponiert hatte.
    Ein Blick durch das Fenster verriet mir, dass draußen heller
Sonnenschein war, dass ein paar Schäfchenwolken am Himmel trieben, dass
irgendwelche blöden Vögel zwitscherten, dass da zwei Schmetterlinge mit Namen
Kleiner Fuchs durch die laue Luft taumelten, dass eine Hummel gegen die
Fensterscheibe brummte, vielleicht, um mich aufzufordern, herauszukommen und
mein Dasein in diesem Erdenjammer freudig zu bestaunen. All die Zeichen
ekelhafter Lebenslust waren mir von Herzen zuwider.
    Ich war allein im Haus, meine Existenz ging mir auf die
Nerven, so etwas wie Privatleben hatte ich nicht vorzuweisen, beruflich sah ich
weder ein Nahziel noch etwas von bleibendem Wert, was ich betreiben konnte. Ich
hätte den Rasen mähen müssen und mein Teich gammelte im Zeichen haushoher
Schilf- und Grasbewachsung seinem jähen Ende entgegen. Mir war durchaus
bewusst, dass alle meine lieben Fische jeden Tag an akutem Sauerstoffmangel
eingehen konnten. Mein Teich würde Schlamm sein und ich würde an seinem Ufer
sitzen und darüber nachsinnen, wieso alles auf Erden dem Untergang geweiht war,
noch ehe man sich richtig daran erfreuen konnte. Diem perdidi, sagten die Lateiner: Ich habe den Tag verloren.
    Natürlich genügte Satchmo die halbe Frikadelle nicht und
ich gab ihm noch einen ordentlichen Schlag Industriefleisch in sein Schälchen.
Cisco bekam einen Napf Wasser und zwei Handvoll steinharter Kekse, die
angeblich sein Wohl und Wehe steuerten. Merksatz: Auch wenn es dir beschissen
geht, sorge für deinen Haushalt. Im Falle deiner Beerdigung darf niemand sagen
können: Er hat sich zuletzt ja so gehen lassen …
    Die Kaffeemaschine äußerte ein letztes Blubbern und ich
goss mir einen Becher voll. Heraus kam heißes Wasser, ich hatte vergessen, Kaffeepulver
in den Filter zu tun. Also das Ganze noch einmal.
    Es folgte die Besichtigung meines Wohnzimmers, das Zurückziehen
der Vorhänge, das Öffnen der Terrassentür, das Einschalten des Fernsehers –
alles wie gehabt.
    Auf dem Bildschirm sagte jemand voller Inbrunst: »Und
jetzt gucken wir uns an, was alles drin ist in diesem leckeren Gericht. Da
wären zweiunddreißig Prozent Kohlenhydrate …« Der Mann war etwa fünfzig,
und es dauerte zwei Sekunden, ehe ich begriff, dass das, was er auf dem Kopf
trug, keine Wurzelbürste aus der Küche war, sondern seine ins Strohgelbe
gefärbten Haare. Ich schaltete ihn ab, ich kann morgens um diese Zeit mit
geklonten Wesen nichts anfangen.
    In dem Moment schellte es an der Tür.
    Tante Anni krähte: »Guten Morgen, mein Lieber! Es ist
Zeit für einen ausgreifenden Spaziergang. Die Welt lacht.«
    Â»Davon bin ich nicht überzeugt«, erwiderte ich. »Komm
rein. Wenn du Glück hast, kriegst du einen Kaffee.«
    Â»Du hast nicht zugehört. Ich will wirklich spazieren gehen.«

    Â»Das ist doch alles eitel Zeug«, murrte ich.
    Â»Du bist mal wieder seit Wochen schlecht drauf«, stellte
sie fest. »Du brauchst eine Frau oder so was in der Art. Jedenfalls eine
Korrektur.«
    Â»Willst du nun einen Kaffee? Oder bist du nur gekommen,
um zu korrigieren?«
    Â»Gut«, schnaufte sie und trat ein. Sie trug ihre blauen
Turnschuhe aus Leinen, die aus der Zeit der Bauernkriege stammen mussten. Dazu
weiße Söckchen. »Das gibt meinen Füßen freies Spiel«, pflegte sie zu sagen.
    Ich holte uns den Kaffee und hockte mich ihr gegenüber in
einen Sessel.
    Es war für mich geradezu bestürzend, wie gesund sie war
und wie viel Spaß sie am Leben hatte. Sie musste, wenn mich nicht alles
täuschte, inzwischen zweiundachtzig sein. Sie hatte drei- oder viermal
ernsthaft versucht zu sterben, aber es war ihr nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher