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Mordsviecher

Mordsviecher

Titel: Mordsviecher
Autoren: Nicola Förg
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graute vor dem Moment, in dem sie sich mit dem Toten auseinandersetzen musste.
    Dieser Moment kam zwei Stunden später. Mittlerweile war es nach Mitternacht, und sie hatte Kathi längst heimgeschickt. Die Reptilienexperten hatten geschuftet, unterkühlte Tiere notversorgt, manche hatten sie sofort einschläfern müssen. Und wieder würde es eine gigantische Anstrengung werden, diese Tiere gesund zu pflegen. Reptilien waren noch schwerer vermittelbar als pelzige Kuscheltiere. Kein Fell zu haben, war in der Liebhabeskala ganz unten angesiedelt.
    Schließlich erhielt Irmi Zutritt zu dem Gebäude. Leere Gitterkäfige empfingen sie, das Schlimmste aber war eine Kühltruhe, in der tote Tiere eingefroren waren. Rasch warf Irmi den Deckel zu, um die Dämonen wieder wegzusperren.
    Der Arzt konnte nur den Tod des Mannes feststellen. Irmi beschloss, die Leiche in die Gerichtsmedizin bringen zu lassen, denn es gab keine klar ersichtliche Todesursache.
    Als sie wieder draußen in der feuchten Nebelnacht stand und frische Luft in ihre Lungen strömte, fühlte sie sich wie hundert. Mindestens. Auch der Schlangenmann sah im Scheinwerferlicht um Jahre gealtert aus. Das Tierelend ging ihm an die Nieren, man spürte seine unterdrückte Wut, seine Hilflosigkeit.
    »Und was meinen Sie?«, fragte Irmi. »Könnte der Mann an irgendeinem Gift gestorben sein?«
    »Könnte, klar. Ich habe dem Toten so eine Art Beipackzettel für die Pathologie mitgegeben, auf welche Substanzen man ihn testen sollte. Es waren einige Tiere nicht ordnungsgemäß gesichert. Mein Hauptverdacht gilt der Coloradokröte.«
    »Wem?«
    »Der Coloradokröte. Wissen Sie, Frau Mangold, das klingt in Ihren Ohren jetzt vielleicht merkwürdig, aber das Tierchen ist in den USA und auch andernorts sehr beliebt. Wenn man an ihr leckt, wird man high, die Coloradokröte setzt halluzinogene Substanzen frei.«
    Irmi starrte ihn an: »Sie meinen, da leckt jemand allen Ernstes freiwillig an einer Kröte?«
    »Durchaus, der Mensch ist findig! Das Sekret der Kröte dient eigentlich der Abwehr von Fressfeinden und verhindert den Befall von Parasiten. Im Sekret ist einiges Leckeres drin, unter anderem O -Methyl-bufotenin, ein halluzinogenes Alkaloid. Bei Fressfeinden, die nicht allzu groß sind, kann dieses Gift auch zum Tod führen.«
    »Der Mann war aber doch kein Fressfeind!«
    »Das nicht, aber wenn man zu viel an der Kröte leckt, kann das zu Gefäßverengung führen mit daraus resultierender Atemlähmung.« Er machte eine kurze Pause. »Wenn der Mann da drin der Verursacher des ganzen Elends ist, dann kann man der Kröte nur gratulieren.«
    Irmi hatte in ihrer Karriere wahrlich genug erlebt. Jenseits der fünfzig konnte man mit Verlaub von einer gewissen Erfahrung sprechen. Schussverletzungen, Würgemale, sogar ein Insulinmord – aber Tod durch Krötenlecken? Sie wollte sich das gar nicht so genau vorstellen …
    In diesem Moment wurde ihre Aufmerksamkeit auf Sailer gelenkt. Sie hatte ihn mit dem Autoschlüssel losgeschickt, der sich in der Jacke des Toten befunden hatte. Sailer hatte wahrscheinlich den Hummer in tiefer Ehrfurcht geöffnet, war sicher Probe gesessen – und hatte Spuren vernichtet. Deshalb hatte es so lange gedauert, bis Sailer auf seinen Säbelbeinen zurückkam. In der Hand hielt er ein Fundstück aus dem Wagen: ein albernes Herrenhandtäschchen. Warum wunderte es Irmi schon gar nicht mehr, dass es aus Krokoleder war?
    »Haben Sie schon reingesehen?«, wollte Irmi wissen.
    »Nia ned! Sie san doch de Chefin.«
    Irmi zog Handschuhe über und fingerte einen Ausweis heraus. Kilian Stowasser war fünfundfünfzig Jahre alt und in Buenos Aires geboren. Das hatte Klang. Anders als geboren in Garmisch-Partenkirchen. Oder Schongau. Oder Weilheim. Geboren in Buenos Aires, gestorben in Krün. Das allerdings hatte keinen guten Klang.
    »Warum sagt mir der Name was?«, fragte Irmi.
    »Is des ned der Schlafsackmo?«, vermutete Sailer.
    Irmi überlegte kurz. Der Schlafsackmann? Doch auf einmal hatte sie ein Bild vor Augen. Ein Mann neben dem Landrat. Ein Mann auf Rednerbühnen. Ein Mann im Fernsehen. Kilian Stowasser, den sie für seine Schlafsackproduktion zum Bayerischen Unternehmer 2010 gekürt hatten. Einen Tierschutzpreis hatte er auch erhalten, weil er konsequent Daunen aus Lebendrupf ablehnte. Weil er selbst auf einer riesigen Gänsefarm glückliche Gänse hielt, die grasen durften und schwimmen. Ein Vorzeigeunternehmer, der auch jede Menge Arbeitsplätze geschaffen
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