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Mordskerle (German Edition)

Mordskerle (German Edition)

Titel: Mordskerle (German Edition)
Autoren: Renate Schley
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Und ich will es auch nicht wissen.“
    „Ich sage es trotzdem. Ich habe den Verdacht, dass dir nichts weiter fehlt als purer, sinnlicher Sex, ungefähr eine Woche lang und…“
    „MUTTER!!!“
    „Was? Was ist los? Wieso brüllst du so?“
    Lenas Gesicht glühte vor Scham. „Ich brülle, weil eine Mutter so nicht mit ihrem einzigen Kind reden sollte! Warum kannst du nicht sein wie alle Mütter, die friedlich und geruhsam ihren Lebensabend genießen, für Wohltätigkeitsbasare stricken und ihre Liebschaften – sofern sie noch welche haben – auf Kreuzfahrten, irgendwo in Fernost oder Südamerika unter Ausschluss der Öffentlichkeit abwickeln?“
    Annelie lächelte ihr rätselhaftes Lächeln. Sie wickelte sich eine Strähne ihrer langen, schwarzen Haare um den linken Zeigefinger, wobei sie gelassen erklärte:
    „Ich will aber nicht sein wie andere Mütter. Das wäre mein Tod, Lena. Und ich beabsichtige nicht, deinem Vater so bald zu folgen.“
    Da schluchzte Lena hysterisch auf und floh vor dieser fremden Frau, die zwar ihre Mutter war, sie aber nie wirklich verstanden hatte. Sie rannte ins Badezimmer, wo sie sich einschloss und eine Viertelstunde vor sich hin weinte, ohne eigentlich zu wissen, warum.
    Annelie Klüver geborene Klamroth keine Mutter wie andere Mütter war, blieb ihr ureigenstes Geheimnis. Doch möglicherweise empfand sie es selbst gar nicht als notwendig, auf diese Frage eine schlüssige Antwort zu suchen.
    Wann immer Lena sich an ihre Kindheit oder Jugend erinnerte, sah sie sich verwirrt und hilflos durch das Leben stolpern. Sie begegnete zahllosen gleichaltrigen Mädchen, die behaupteten, ihre Mutter sei ihre allerbeste Freundin, ohne dass Lena jemals begriff, was das eigentlich bedeutete.
    Annelie war nie eine Mutter gewesen, die ihre einzige Tochter Kübelweise mit mütterlicher Zuneigung überschüttete. Sie neigte nicht zu übertriebenen Sympathiebekundungen, sondern war und blieb sachlich, also irgendwie immer so, als hätte sie ein Kind in ihrem Leben nicht unbedingt gebraucht.
    Lena sah sich in ihren Erinnerungen niemals in liebevoller Geborgenheit auf Annelies Schoß sitzen, von deren mütterlichen Händen zärtlich gestreichelt. So war Annelie eben nicht.
    Sie bemühte sich, ihrem Ehemann, dem mehrfachen Millionär Gottlieb Klüver, eine gute Frau zu sein, stand bei wichtigen gesellschaftlichen Anlässen unerschütterlich an seiner Seite, verstand es, sich geschmackvoll zu kleiden, besaß eine gewisse Bildung und, jawohl, auch Niveau, manchmal sogar Kultiviertheit, und bewies bei alldem vor allem das Talent, aus ihrem Leben als Gottlieb Klüvers Gattin das Beste zu machen.
    Gottlieb starb unerwartet und nicht so, wie Lena als seine einzige und inzwischen erwachsene Tochter ihm immer prophezeit hatte. Nein, er brach nicht tot an seinem Schreibtisch zusammen, weil er sein ganzes Leben lang zuviel und zu hart gearbeitet hatte, denn Gottlieb war ein Mann gewesen, der seinen Reichtum nie genießen konnte.
    Irgendeine unerklärliche Kraft trieb ihn auch dann noch voran, als er es schon lange nicht mehr nötig hatte, morgens der Erste und abends der Letzte in der Firma zu sein.
    Gottlieb war Fünfundfünfzig, als sich die Steuerprüfer in einer seiner zahlreichen Firmen anmeldeten und er aus irgendeinem, immer noch absolut unerfindlichem Grund beschloss, in dieser Woche für unbequeme Fragen unerreichbar zu sein. Er berief sich auf seine chronische Kehlkopfentzündung und suchte als Privatpatient in einer der besten Hamburger Kliniken Asyl, das man ihm dort auch gerne gewährte.
    In der Nacht vor der – eigentlich banalen – Operation starb Gottlieb Klüver an Herzversagen. Die Mediziner reagierten mit Bestürzung, der Klinikchef war außer sich und Annelie einem Zusammenbruch nahe, denn das hatte niemand voraussehen können.
    Die Steuerprüfer im Nacken, krempelte sie im wahrsten Wortsinn die Ärmel hoch, um sich daran zu machen, die Beisetzung für ihren verstorbenen Ehegatten zu organisieren. Das musste sie alleine schaffen, denn Lena war nicht imstande, ihrer Mutter beizustehen. Lena war bei der Nachricht vom Tod des Vaters ohnmächtig umgefallen und erst eine Woche nach der Beisetzung wieder bei Kräften.
    Indes wuchs Annelie über sich hinaus. Vielleicht kam sie da zu der alles entscheidenden Erkenntnis, dass das irdische Leben manchmal schnell und sehr unerwartet zu Ende sein konnte. Jedenfalls lebte Annelie seitdem so, wie sie es heute einmal mehr ihrer Tochter demonstriert hatte.
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