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Mordskerle (German Edition)

Mordskerle (German Edition)

Titel: Mordskerle (German Edition)
Autoren: Renate Schley
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Sie nahm junge Männer mit zu sich nach Hause, gestattete sich Affären, die mit Liebe gar nichts, aber sehr viel mit Sex zu tun hatten, reiste und gab Gottliebs Geld mit vollen Händen aus.
    Dennoch würde sie es kaum schaffen, die Firmen, deren Eigentümerin sie heute war, in den Ruin zu wirtschaften, obwohl es manchmal so aussah, als sei es das, was sie wollte. Doch so naiv konnte selbst Annelie nicht sein, denn wer sägte schon den Ast ab, auf dem er saß?
    Annelie hatte inzwischen weniger denn je etwas mit jenem Mutterbild gemeinsam, dem Lena Jahrzehnte lang hinterher geträumt, zeitweise sogar hinterher gejagt war. Annelie ließ ihr Haar hüftlang wachsen und trug es grundsätzlich offen. Sie wickelte sich in knappe, kurze Kleider, in denen sie umwerfend aussah, denn sie war schlank wie eine Gerte. Sie liebte es, all das zu tun, was sie sich als Gottlieb Klüvers Ehefrau stets hatte versagen müssen.
    Wurde sie heute von jemand, der ihre Geschichte nicht kannte, gefragt, was sie denn beruflich machte, dann antwortete sie stets etwas mokant: „Ich bin Witwe.“
    Das genügte als Antwort, fand sie.
    Im Übrigen war sie die aufregendste, vitalste und abenteuerlichste Witwe, die man sich vorstellen konnte.

4. Kapitel
    I hr Sohn war tot.
    Ihre Töchter beweinten den Bruder, seit man es ihnen gesagt hatte. Aber sie konnte nicht weinen. Sie schrie nur einmal auf. Das war, als die beiden Polizisten in der Tür standen, da hatte sie es schon gewusst, noch ehe das Wort, der Satz ausgesprochen worden war.
    Wie hätte sie es auch nicht wissen können, was es bedeutete, nachdem sie drei Tage lang gewartet hatte, dass ihr Sohn nach Hause kam und dann plötzlich die Polizei an ihrer Haustür klingelte?
    Später, als sie ihn sehen durfte, überließ sie sich einen Moment lang der Illusion, dass er vielleicht gar nicht tot war, dass er vielleicht nur schlief, dass sich vielleicht alle irrten…
    Aber als man sie bat, den kalten, gekachelten Raum wieder zu verlassen, da begriff sie endgültig, dass Allah ihr den Sohn, den sie vor neunzehn Jahren empfangen hatte, wieder nahm.
    Durch die geschlossenen Türen konnte sie ihre Töchter weinen hören, während sie seit Stunden bei völliger Dunkelheit im Zimmer des Jungen saß, die Vorhänge zugezogen, damit kein Tageslicht herein fiel.
    Vier Töchter und einen Sohn hatte sie geboren.
    Nach vier Mädchen hatte sie vor etwas mehr als achtzehn Jahren endlich einen Sohn zur Welt gebracht. Ach, wer hatte denn eine Ahnung in diesem Land, was es für eine türkische Frau bedeutete, nur Mädchen zu gebären?
    Nicht, dass sie nicht alle Vier von Herzen geliebt hätte: Serpil, Demet, Handan und Nilay. Doch jeden Tag hatte sie Allah damals angefleht, ihren Leib mit einem Sohn zu segnen, und als es dann endlich wahr wurde, fühlte sie keinen Schmerz, sondern weinte vor Seligkeit, so wie sie nie zuvor geweint hatte, und Rahmi, ihr Mann, weinte mit ihr, so groß war seine Freude und seine Erleichterung.
    Für eine türkische Frau war es von großer Bedeutung, dem Ehemann einen Sohn zu schenken. Doch noch weitaus wichtiger war es für einen türkischen Mann, denn ein Mann wurde in ihrem Land erst zum Mann durch einen Sohn.
    Sie nannten ihn Metin.
    Sie konnten nicht aufhören, Allah für das Geschenk dieser Geburt zu danken. Metins vier Schwestern vergötterten den kleinen Bruder, sein Vater betete ihn an und auch in ihrem Leben als Mutter war er fortan der Mittelpunkt.
    Liebten sie ihn möglicherweise zu sehr?
    Es hieß, dass Allah einem das wieder nahm, was man zu sehr liebte, aber konnte man ein Kind zu sehr lieben? Metin war ein ernster, stiller Junge. Manchmal weinte er plötzlich, ohne dass er dieses Weinen erklären konnte. Je älter er wurde, desto schweigsamer wurde er. Nie erfuhr sie, welche Gefühle ihren Sohn bewegten. Bei aller Liebe, die sie für ihn hatte, blieb er ihr immer seltsam fern, ohne dass sie jemals Worte dafür fand.
    Nun würde sie sich ihr restliches Leben an ihren Sohn als einen ernsten, scheuen Jungen erinnern, in dessen Augen stets eine Frage zu liegen schien, die er jedoch niemals aussprach und deren Ursprung seine Mutter nie erkannte.
    Er war tot.
    Ich bin schuld, klagte sie sich schon an, nachdem die Nachricht von seinem Tod gerade erst von einem der Polizisten ausgesprochen worden war.
    Ja, sie war schuld. Sie musste sich selber vorwerfen, was geschehen war, denn sie hätte ihm das Geld nicht geben dürfen. Ohne das Geld wäre er an jenem Abend nicht mehr weg
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