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Mordskerle (German Edition)

Mordskerle (German Edition)

Titel: Mordskerle (German Edition)
Autoren: Renate Schley
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allem aber war es nicht dazu da, einem arbeitslosen Siebzehnjährigen ein Fahrrad für zweitausend Euro zu finanzieren.
    Seine unguten Ahnungen sollten sich bestätigen. Das Sozialamt erklärte sich für Tim nicht zuständig, jemand drückte ihm die Adresse der ARGE in die Hand, dort würde man ihn beraten und mit dem Nötigsten versorgen, orakelte eine Sachbearbeiterin zuversichtlich, doch Tom teilte diese Zuversicht nicht.
    Er ahnte, dass das „Nötigste“ aus einer Art Taschengeld bestehen würde, von dem er nicht leben konnte. Vielleicht würde er damit irgendwie über die Runden kommen.
    Wann immer er sich fortan zu den Anderen auf der Rathaustreppe gesellte, musste er an das Fahrrad mit der 14-Gang-Kettenschaltung denken, sprach jedoch sicherheitshalber zu niemand darüber, denn diesen Traum wollte er ganz alleine für sich haben. Den sollten ihm seine Kumpels nicht auch noch wegnehmen.
    Dass an diesem Frühsommerabend eine Sitzung des Magistrats im Rathaus stattfand, hatte Tim nicht gewusst. Für solche Sachen interessierte er sich nicht, er las ja auch keine Zeitung, höchstens angelte er sich mal den Sportteil wieder aus dem Abfalleimer, in den irgendeiner von seinen Kumpels seine Zeitung warf, wenn er sie ausgelesen hatte.
    Aber Tim erinnerte sich plötzlich, dass sein Vater schon morgens beim Frühstück, das aus der ersten Dose Bier und einer Tüte Kartoffelchips bestand, verächtlich gelacht hatte, als er die Zeitung, die er regelmäßig aus irgendeinem der unzähligen Briefkästen stahl, vor sich auf dem Küchentisch ausbreitete.
    „Sitzung des Magistrats, so, so… Da tagen sie wieder und beraten und was kommt dabei raus? Nix. Ha, ha… Nix. Für unsereins gar nix. Schmeißen das Geld zum Fenster raus, nur bei unsereins kommt nix an und dafür sitzen sie stundenlang und quatschen dumm ´rum. Sollten zur Abwechslung auch mal arbeiten gehen so wie unsereins das Jahrzehnte lang auf´m Bau gemacht hat. Aber die wissen ja gar nicht, was das ist und wie das geht – Arbeit.“
    Tims Herz schlug plötzlich schneller. Er hätte nicht sagen können, wieso, doch er konnte seinen eigenen Puls bis in die Fingerspitzen fühlen. Kurz vor Zwölf fand er sich auf der Rathaustreppe ein, und da spürte er es wieder, dieses Herzklopfen, wie in freudiger Erwartung eines außergewöhnlichen Ereignisses.
    Die Anderen waren schon alle da, saßen in der Sonne und bildeten sich ein, es wäre Sommer. Sie redeten von Urlaub an der Costa Brava, den sich keiner von ihnen leisten konnte. Aber träumen durften sie ja noch, und Träume hatten sie auch noch. Wenn es von außen nicht so aussah.,
    Indes lungerte Tim den ganzen Tag dort herum, aß irgendwann ein Brötchen, das ihm Einer schenkte, denn er hatte schon wieder kein Geld. Die ganze Zeit dachte er nicht ein einziges Mal daran, das Fahrrad zu klauen. Wieso hätte er das auch tun sollen? Er wusste ja nicht einmal, wie man unbeobachtet auf den Hinterhof des Rathausgebäudes gelangte, und überhaupt, er hatte noch nie was genommen, was ihm nicht gehörte, wenn man einmal von der CD absah, die er im letzten Jahr kurz vor Weihnachten im Supermarkt für seine kleine Schwester hatte mitgehen lassen.
    Zur Abendbrotzeit ging er nach Hause, doch da gab es nichts. Sein Vater, längst nicht mehr nüchtern, lärmte durch die kleine Wohnung und verlangte von Tims jüngeren Geschwistern, dass sie endlich den Fernseher abschalteten, während Tims Mutter aus unerfindlichen Gründen nirgends zu sehen war.
    „Keine Ahnung, wo sie hin ist“, beantwortete der alte Valendiek die Frage seines ältesten Sohnes. „Sagte plötzlich, sie muss hier raus und seitdem glotzen die Kleinen fern.“
    Also machte Tim gleich wieder auf dem Absatz kehrt, doch als er dann bei der Rathaustreppe ankam, war keiner von seinen Kumpels mehr da. Stattdessen eilten mehrere sehr dienstlich wirkende Menschen die Treppe hinauf zum Haupteingang, um dort hinter der schwer zufallenden Tür im Nichts zu verschwinden.
    Ach ja, der Magistrat, erinnerte sich Tim, der immer noch nicht wusste, wer oder was sich eigentlich dahinter verbarg.
    Er stellte es sich schließlich so vor: Viele ernst drein blickende Leute saßen um einen großen, runden Tisch herum und beratschlagten, wohin sie das viele Geld tun sollten, das in einem großen Stapel zwischen ihnen lag…

    Der junge Bürgermeister radelte kurz vor halb Acht auf seinem schwarzen Fahrrad quer über den Marktplatz. 14-Gang-Kettenschaltung, dachte Tim, der dem Rathaus jetzt
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