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Mordskerle (German Edition)

Mordskerle (German Edition)

Titel: Mordskerle (German Edition)
Autoren: Renate Schley
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verausgabt hatte, schmerzten seine Beine. Seine Lunge stach. So viel klare, saubere Nachtluft war er nicht gewöhnt, er kannte ja nur den Mief zu Hause oder den Qualm der Zigaretten, die er seinem Vater stahl, um sie später heimlich zu rauchen.
    Mit einem energischen Ruck des Fahrradlenkers verließ er den gepflasterten Radweg und überquerte den Rasen, der zum Stadtpark gehörte. Inzwischen war es dunkel geworden, einen Mond bot der Himmel heute Nacht nicht an, stattdessen wanderten Wolken ohne große Eile nach Westen ab.
    Tim keuchte stärker, denn der Boden war weich, die Fahrradreifen versanken zentimetertief darin. Mit beiden Händen umklammerte der Junge den Lenker, während er wütend die Zähne zusammenbiss. Er würde nicht schlapp machen. Das fehlte noch, dass er jetzt stürzte, nachdem ihm das Rad erst eine Viertelstunde gehörte.
    Erneut trat er mit aller Kraft in die Pedale, während eine leichte nächtliche Brise, die vom Hafen herüber wehte, ihm das Gesicht kühlte. Immer wieder fiel ihm das Haar in die vom Schweiß nasse Stirn und ebenso häufig wischte er es beiseite.
    Glücklicherweise tauchten in diesem Moment die Schatten der ersten Bäume auf, da konnte er verschwinden und verschnaufen. Um diese Zeit war dort bestimmt keiner mehr unterwegs, niemand würde ihn sehen, nichts würde mehr schief gehen, wenn er die erste Baumreihe erreicht hatte…
    Er jagte weiter, direkt auf die Baumkronen zu, die wie verkrümmte Finger, ja, wie unheimliche, riesige Hände in den Nachthimmel wiesen, um sich beim Näher kommen glücklicherweise nur als große, alte Linden zu entpuppen.
    Doch noch war Tim nicht dort. Er hatte noch gut dreißig, vierzig Meter zu radeln. Inzwischen waren seine Beine schwer wie Blei, und er ahnte, dass er morgen vor Muskelkater keinen Zeh würde rühren können. Erneut hetzte sein Blick zu der Baumreihe hinüber, gerade so, als könnte er die Entfernung schneller bewältigen, wenn sein Blick sich nur fest genug an diesem Ziel fest hielt.
    Weil er sich jedoch vor allem auf das konzentrierte, was es zu erreichen galt, sah er das Dunkle, Weiche, das in dieser Sekunde aus der Dunkelheit vor dem Fahrrad auftauchte, viel zu spät. Genau genommen sah er es gar nicht. Er fühlte nur, wie er mit dem Vorderreifen des Rades über etwas rollte, das sofort nachgab, woraufhin das Fahrrad ins Schlingern geriet.
    Und während Tim vor Schreck aufhörte zu denken, zu atmen, zu existieren, gab dieses Dunkle, Weiche ein Geräusch, einen Ton von sich, der den Jungen erstarren ließ.
    Ein Hund, sagte er sich, als er halbwegs vernünftig denken konnte. Es ist nur ein Hund. Hier liefen ja dauernd Köter herum, auf die keiner aufpasste, es war kein Wunder, wenn hier mal einer einging, so was passierte schließlich andauernd. Überall.
    Ja, ein Hund, wiederholte er stumm, fast schon beschwörend, bittend, bettelnd, flehend, denn die hässliche Ahnung, dass er soeben etwas ganz anderes, aber keinen Hund überfahren hatte, erwachte bereits in ihm.
    Etwas anderes?
    Dieses Etwas stöhnte erneut, sodass Tim vom Rad fiel, in die Knie ging, während der Schweiß in Strömen über sein Gesicht rann und sein Herz so heftig und rasend hämmerte, dass er seine eigenen Gedanken nicht mehr hören konnte.
    Nein, nicht ETWAS anderes, sondern JEMAND anderer.
    Es war ein MENSCH.
    Tim hatte einen Menschen überfahren. Einer, der stöhnte und voller Blut war und der, wie Tim jetzt erkannte, als die Wolken ein bisschen matte Helligkeit durch ließen, einen eingeschlagenen Schädel und ein zerschmettertes Gesicht hatte, sodass es als Gesicht fast nicht mehr zu erkennen war.
    Da wurde dem Jungen schlecht. Er musste sich übergeben, mitten auf das schöne schwarze Fahrrad mit der 14-Gang-Kettenschaltung.
    Wenn Lena Klüver Auto fuhr, dann tat sie das „zügig“, wie sie es nannte, aber rücksichtslos wäre der Wahrheit entschieden näher gekommen. Niemals belastete Lena sich mit dem Gedanken, dass ihr bei diesen „zügigen“ Fahrten auf der Autobahn jemals etwas zustoßen könnte. Das geschah nicht etwa aus Überheblichkeit, sondern aus purer Zuversicht in ihr fahrerisches Können, ihre Jahre lange Routine und – was nicht unerwähnt bleiben sollte – aus Lust am rasanten Tempo.
    Natürlich gab es immer auch eine plausible Begründung dafür, wieso Lena ihren Wagen derart über den Asphalt jagte. Einen guten Grund hatte sie auch heute, einen nicht zu unterschätzenden, wie sie fand, denn sie machte sich Sorgen.
    Und wenn Lena
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