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Mordskerle (German Edition)

Mordskerle (German Edition)

Titel: Mordskerle (German Edition)
Autoren: Renate Schley
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gegangen. Er hätte zu Hause bleiben müssen, denn wohin konnte ein knapp Zwanzigjähriger in dieser Stadt schon gehen, wenn er kein Geld hatte?
    Er war aus seinem Zimmer gekommen, und weil er mit ihr und seinen Schwestern alleine im Haus war, hatte er von oben herunter gerufen: „Mama, hast du fünfzig Euro? Papa gibt mir nichts, gib du mir was.“
    Sie gab ihm das Geld. Sie hatte ihm immer gegeben, worum er sie bat.
    Ihr Mann Rahmi durfte das nicht wissen. Er war in diesen Dingen strenger. Er war auch dagegen gewesen, dass die Schwestern den kleinen Bruder so verwöhnten, obwohl sie doch nur das taten, was ihre Mutter tat.
    Metin hatte den Geldschein genommen, den man später in seiner Hosentasche fand, und das Haus verlassen. Seine Mutter rief ihm noch hinterher: „ Willst du denn jetzt noch alleine in die Stadt?“ Denn sie hatte Angst um ihren Sohn, nachdem während der letzten Monate soviel Schreckliches passiert war und ein türkischer Junge lieber spät abends nicht alleine unterwegs sein sollte.
    Ihr Sohn aber hatte sich umgedreht und fast ein wenig mitleidig erwidert: „Mama, mir geschieht nichts. Ich weiß mich zu wehren.“ Und er zeigte ihr das Stuhlbein, das er unter seiner Jacke verbarg und immer bei sich hatte für den Ernstfall, wie er es nannte.
    Als er ging, was es halb Zehn, ein regnerischer Frühsommerabend, an dem man ihn später mit dem Stuhlbein erschlagen hatte. Wo, das wusste man nicht. Gefunden hatte man ihn ganz woanders, in einer kleinen Stadt an der Ostsee. Ein Junge, kaum älter als Metin, hatte ihn dort nachts mit dem Fahrrad überfahren, doch das war nicht die Todesursache gewesen, erklärte die Polizei ihnen.
    Der Fundort war nicht der Tatort, wiederholte der Polizis t mehrmals und er sagte auch nachdrücklich, dass Metin wahrscheinlich gar nicht mehr gemerkt hatte, als das Fahrrad ihn überfuhr.
    Seine Mörder hatten ihn mit dem Stuhlbein erschlagen, das eigentlich seine Waffe sein sollte. Ihm war keine Chance zur Gegenwehr geblieben, er konnte ihnen nicht entkommen. Als der andere Junge ihn fand, atmete Metin zwar noch, aber eigentlich war er schon tot.
    Ihr Sohn war tot.
    Sein Leben hatte gerade erst angefangen, und der Gedanke, was aus ihm hätte werden können, ließ seiner Mutter keine Ruhe. Gleichzeitig versuchte sie sich zu trösten: Auch seine Eltern, die ihn nun überlebten, würden nicht ausschöpfen können, was das Leben ihnen bot. Konnte das überhaupt irgendein Mensch?
    Allah hatte dem Jungen den frühen Tod vorbestimmt. Es musste schließlich irgendeinen Sinn geben, dass er so jung starb, wenn seine Familie diesen Sinn auch nirgendwo erkennen konnte.
    Nein, er hatte dort unter dem weißen Laken, das man über ihn gebreitet hatte, nicht geschlafen. Er war tot. Erschlagen mit einem Stuhlbein.
    Sie fühlte keinen Hass. Früher nicht, jetzt nicht. Vielleicht kam das später noch. Doch es würde leichter sein, weiter zu leben, wenn sie hätte sicher sein können, dass die Mörder ihres Sohnes gefasst wurden.
    Nein, nicht Vergeltung wollte sie. Sie wünschte sich nur, dass die Täter begriffen, was sie ihnen angetan hatten, denn sie hatten ja nicht nur ihren Sohn, sondern auch seine Eltern, die ganze Familie getötet.
    Als Metin starb, starb auch sie, seine Mutter. Starb auch sein Vater und starben seine Schwestern, obwohl sie weiter leben mussten. Mit Metins Mördern.
    Der Sonntagmorgen begann mit dem schrillen Klingeln irgendeines der zahlreichen Telefone im Ferienhaus. Ein Klingeln, das Lenas Schlaf rücksichtslos zerschnitt und ihr nicht gestattete, weiter zu schlafen.
    Also stand sie schließlich auf, es war erst halb Neun und das war nach Lenas Meinung ein unverzeihliches Sakrileg – an einem Sonntagmorgen vor zehn Uhr aufzustehen.
    Wie sich jedoch später zeigte, befand sie sich in allerbester Gesellschaft: Annelie stand bereits in der großen Diele und telefonierte. Wenn Lena erwartet hatte, irgendwo auch dem jungen Liebhaber ihrer Mutter begegnen zu müssen, so irrte sie. Ein rascher Blick durch die offen stehende Tür zu Annelies Schlafzimmer bewies ihr, dass der Raum genauso leer war wie das breite Bett.
    Das führte augenblicklich zu der überraschten Frage: Hatte Annelie die Nacht etwa alleine verbracht? Möglicherweise bei einem Glas Wein und einem guten Buch?
    Lena wusste aus Erfahrung, dass dieses ein weiterer von zahlreichen Irrtümern war, die ihre Mutter betrafen. Annelie schlief fast nie alleine. Ein Beweis dafür war an diesem Morgen nicht etwa das
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