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Mordshunger

Titel: Mordshunger
Autoren: Frank Schätzing
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Fußabdrücken suchten.
    Inka von Barnecks Wohnung lag im obersten Stockwerk des Bazaar. Sie konnte von zwei Seiten begangen werden, vom Hausflur und über die Terrasse, was allerdings eine Kletterpartie erfordert hätte. Gleich darunter wohnte Schramm, und der war’s nicht gewesen. Nicht, dass er ein Alibi gehabt hätte oder keinen Grund. Er war es einfach nicht gewesen, dafür reichte es, ihm ins Gesicht zu sehen.
    Cüpper warf einen Blick nach draußen. Die Terrasse war mit Holz geplankt. Seit einer halben Stunde regnete es nicht mehr, aber der Boden schimmerte noch feucht. Hin und wieder brach der Mond durch die Wolkendecke und spiegelte sich in kleinen Pfützen, wo die Planken ausgetreten waren oder schief zusammensteckten.
    Wäre der Mörder über die Dächer gekommen, hätte die Terrassentür offen stehen müssen. Dass sie jetzt verriegelt war, besagte gar nichts. Er hätte sie zuziehen können, nachdem er einmal drin war. Trotzdem unwahrscheinlich. Nirgendwo fanden sich Spuren von Nässe oder Schmutz, und es hatte fast den ganzen Tag gegossen. Um sauber hier hereinzukommen, hätte der Mörder schweben müssen. Unübliche Methode.
    Cüppers Gedanken strebten Richtung Tatort, also ging er zurück in die Diele. Annähernd quadratisch, gut vier mal fünf Meter, gleich zur Rechten eine Garderobe, wenn man reinkam. Sparsam und geschmackvoll eingerichtet wie überhaupt die ganze Wohnung.
    Sie hatten die Leiche neben der Tür gefunden, gekrümmt, als hätte Inka von Barneck mit letzter Kraft versucht, nach draußen auf den Flur zu kriechen. Das war natürlich Unsinn, so wie sie zugerichtet war. Inka von Barnecks letzte unbewusste Handlung hatte offenbar darin bestanden, die Hände auszustrecken und dann in die Garderobe zu sinken. Ihre linke Hand hatte sich in einen Blazer gekrallt und ihn heruntergerissen. Sie war aufs Gesicht gefallen, vermutlich schon tot, bevor sie aufschlug. So, wie der Sturz erfolgt war, hatte der Mörder sie von hinten an den Haaren gepackt, ihren Kopf zurückgebogen, das Messer hochgerissen – und Schnitt.
    Dann allerdings hatte er etwas getan, was nicht so recht zu einem talentierten Schurken passen wollte.
    Er war gegangen, ohne die Waffe mitzunehmen. Sie lag neben dem Opfer, und das war Cüpper gar nicht recht. Derlei Ungereimtheiten bedeuteten im Allgemeinen, es entweder mit einem ausgemachten Dummkopf oder einem ganz besonders raffinierten Hund zu tun zu haben, und raffinierte Hunde machten nichts als Ärger.
    Und noch etwas war seltsam an der Diele. Etwa vier Meter von der Leiche, fast im Durchgang zum Wohnzimmer, war ein antikes Dreibein umgefallen. Das Tischchen mit seinen hübschen Intarsien schien Cüpper eine ebenso teure wie wackelige Angelegenheit zu sein, trotzdem musste man schon heftig damit in Berührung kommen, um es umzukippen. Scherben lagen überall verstreut, wahrscheinlich Gläser, die auf dem Tisch gestanden hatten und beim Sturz zu Bruch gegangen waren. Leise fluchend kroch einer von der Spurensicherung durch den Schlamassel und versuchte, sich nicht die Finger zu zerschneiden. In seinem Plastikanzug mit der Haube und den weißen Handschuhen erinnerte er Cüpper an ein riesiges Insekt.
    Er ging neben dem Insekt in die Hocke.
    »Irgendwas Spezielles?«
    »Blut an den Scherben«, sagte das Insekt und balancierte Glas in ein transparentes Plastiktütchen, um es sogleich mit einer Aufschrift zu versehen. »Manchmal komme ich mir vor wie irgend so’n Archäologe. Warum können wir nicht Freudenschreie ausstoßen, alles zusammenkleben und es dem Römisch-Germanischen Museum als vorsintflutliche Vase verkaufen? Wir bekämen viel Geld und müssten nicht mehr diese Scheiße machen.«
    »Wir würden andere Scheiße machen. Was ist mit dem Blut?«
    »An drei Scherben, ziemlich wenig. Bisschen was auf dem Teppichboden. Meines Erachtens ist da jemand mit der Hand rein, als der ganze Mist ins Wanken kam.«
    »Sonst irgendwelche Blutspuren zwischen dem Tisch und der Leiche?«
    »Nichts. Oder doch! Krüger hat was gefunden.«
    Cüpper kam auf die Beine, während das Insekt mit spitzen Fingern weiter in dem Scherbenhaufen wühlte. Die Muskeln seiner Kiefer traten hart hervor. Armer Kerl. Es gab keine Routine in dem Job, allenfalls konnte man versuchen, so weit wie möglich abzustumpfen. Letzten Endes blieb ein aufgeschlitzter Hals ein aufgeschlitzter Hals. Die meisten Mägen pflegten sich umzudrehen angesichts der phantasievoll zugerichteten Toten, deren Bekanntschaft man von
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