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Mords-Bescherung

Mords-Bescherung

Titel: Mords-Bescherung
Autoren: Erich Weidinger
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nur ein Angriff auf die guten Sitten war.
    Um fünf Uhr zwanzig schmetterte der Riedinger aus genau demselben
Grund dasselbe Wort in Richtung seines Kontrahenten. So erleichtert war der
Kurpartl dank der Erleichterung – wenn es nicht so dunkel gewesen wäre, der
Riedinger hätte ihn lächeln sehen können.
    Aber auch ohne Wahrnehmung dieses Schmunzelns war nun, nicht nur an
zwei Stellen im weiß bedeckten Kirchenplatz, auf beiden Seiten das Eis
gebrochen, still und heimlich natürlich. Obwohl still und heimlich nicht ganz
richtig ist, zumindest was den Grund der versteckten Erheiterung betrifft, denn
dem erleichterten Kurpartl kam während seiner Erleichterung zusätzlich noch ein
alles andere als dezentes Lüftchen heraus, keines von der Sorte, bei dem man
nicht weiß, woher der Wind weht.
    Diese brummende Brise brach nicht nur das Eis, sondern auch das
Schweigen.
    »Aber einen Haufen vor die Kirche legen tust nicht!«, ließ der
Riedinger nach einiger Zeit seinem »Saukerl« folgen.
    »Wenn’s sein muss ganz bestimmt, da kannst du Gift drauf nehmen!«,
retournierte der Kurpartl, und der andächtig vor ihrem Kindlein knienden
Marienfigur im Inneren des barocken Gotteshauses wurde angst und bang: Schnaps
regt nämlich die Verdauung an, sollte man wissen!
    »Bevorst dich wegen diesem Haufen noch mehr versündigst, sag was, da
gehen wir lieber vorher!«
    »Na dann gehen wir!«
    Es ist ja hinlänglich bekannt, dass sich die Menschen des
Öfteren wegen jedem noch so lächerlichen Furz ein Leben lang in die Haare
geraten. Wie man sieht, auch zur Versöhnung reicht ein solcher, wären nur die
Herzen dafür offen genug.
    Welch wunderbares, beinah weihnachtliches, wenn auch ein klein wenig
derbes Ende! Eine richtige kleine Weihnachtsgeschichte, könnte man meinen.
    Nur hat offen gesagt die richtige Weihnachtsgeschichte langfristig
gesehen alles andere als ein wunderbares Ende, womit wir wieder bei den
Holzkreuzen wären und diesem ehernen Gesetz:
    So viel versöhnen können sich zwei in Wahrheit gar nicht, wenn ein
Dritter das nicht will. Zuerst war der Holzinger Jesus natürlich zornig über
diesen brüderlichen Akt der Schwäche, diesen lächerlichen Friedensgruß der
beiden Kontrahenten. Es hat aber nicht lange gedauert, da ist aus diesem Zorn
eine euphorische Glückseligkeit geworden, als hätte die schockierte Jungfrau
Maria schutzsuchend in seiner Werkstatt um Herberge gebeten.
    Um acht Uhr am folgenden Morgen war der Kurpartl der Erste am Platz
vor der Kirche. Kein Wunder, immerhin hatte er reichlich Erfahrung mit seinem
Selbstgebrannten. Und während der Riedinger zufrieden wie ein Kind nach der
Bescherung seinen Marillenschnaps-Versöhnungsrausch ausschlief, stand der
Kurpartl blass, gedemütigt und erfüllt von unbändiger Wut vor seinem ruinierten
Bestand. Anstatt als krönender Abschluss einer gepflegten Zucht die Wipfel
seiner Bäume zu zieren, lagen die Spitzen der enthaupteten Tannen in trauriger
Niedergeschlagenheit neben der gelben Grube im Schnee.
    Menschen, deren neu erworbenes Vertrauen sich andere zur eigenen
Bereicherung zunutze machen, können da blöderweise ganz schön sensibel
reagieren. Lang stand er folglich nicht blass und gedemütigt am Kirchenplatz
herum, der Kurpartl, immerhin gab es da ja noch die unbändige Wut. Vorgelehnt
wie ein Skispringer ist er zur Riedingerunterkunft marschiert, und wäre da
nicht der Vollbart gewesen, man hätte ihn gesehen, den Schaum vorm
Kurpartlmund.
    Danach hörte man wüstes Geschrei aus der Riedingerunterkunft,
Schimpfwörter, die den kleinen frommen Gmeininger Kindern zuvor noch nie zu
Ohren gekommen waren, das Zerbrechen von Glas, dem ein aus dem Fenster
fliegender Sessel folgte. Durch diese beachtliche Lücke flog dann auch Sepp
Riedinger.
    Der Gmeininger Fenstersturz ging in die Geschichte ein, da spielte
die Ebenerdigkeit dieses Fensters gar keine Rolle, und endete am 23. Dezember
mit einem verstauchten Riedingerbein, jeder Menge blauer Flecken und für beide
zuerst vor dem Schreibtisch des diensthabenden Polizeibeamten, dann vor dem
Schreibtisch jenes Gemeindebeamten, der für die Vergabe der Standplätze
zuständig war, dann am Marktplatz. In diesem Jahr wurde schon am 23. Dezember
abgebaut. Und da war es dann auch völlig egal, dass die Spitzen der
Riedingertannen den dazugehörigen Stämmen ebenso zu Füßen lagen.
    Am darauffolgenden 24. Dezember standen jede Menge
Gmeininger Väter, die in der Hoffnung auf gesalzene Rabatte die Strategie
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