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Mordlast

Mordlast

Titel: Mordlast
Autoren: Alexander Guzewicz
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Ein Kollege vom BKA war selten willkommen bei den eigenen Ermittlungen. Noch schwieriger wurde es, wenn es sich dabei um einen Psychologen handelte. Ein Kriminalanalytiker war dann der Gipfel. Die meisten Ermittler kannten sie nur aus dem Fernsehen und das vermittelte ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit. Es ging dabei nicht um irgendwelche neumodischen Spielchen oder darum, die Ermittler bloßzustellen. Es ging nur darum, ihnen bei den Ermittlungen zu helfen, den Ermittlern eine andere Sicht auf ihren Fall zu ermöglichen.
    Engbers würde es ihm nicht leicht machen. Vielleicht auch schwieriger als andere.
    Er lenkte den Wagen in die Tiefgarage. Der Himmel war jetzt klar. Man konnte die Sterne über der Stadt sehen, obwohl es über Berlin eine gewaltige Lichtverschmutzung gab. Überall Scheinwerfer und leuchtende Reklametafeln und natürlich die Lichtkanonen der Discos.
    Seine Mannschaft hatte gerade so gewonnen. Er hatte die anklagenden Blicke von Marian Zajícek gesehen, die er ihm während des Spiels zugeworfen hatte. Aber Ólafur Davídsson war trotzdem nicht bei der Sache geblieben. Er hatte die Steine nicht so gut platziert und es war ihm kein einziger center guard gelungen. Beim Wischen hatte er einige Fehler wieder gutmachen können, aber er hätte das Spiel trotzdem beinahe verpatzt. Curling wurde wegen der taktischen Spielart und der notwendigen Präzision auch als das Schach auf dem Eis bezeichnet. Er hatte heute mindestens eine Dame geopfert. Deshalb war er früher nach Hause gefahren als die anderen. Es gab heute für ihn nur wenig Grund zum Feiern.
     
    Ólafur Davídsson hatte einen Umweg auf dem Weg zur Arbeit gemacht. Er wohnte in Mitte und arbeitete in Treptow.
    Er stand vor dem monströsen Klotz aus Beton und sah ihn an. Ein stummer Zeuge aus einer anderen Zeit, dachte er.
    Davídsson stand mit dem Auto vor dem Eisentor. Er war nicht ausgestiegen. Die Musik war leiser gestellt. Nur noch ab und zu kamen Töne aus den Lautsprechern, wenn das Lied lauter wurde.
    Er hatte das Bauschild am Vortag nicht wahrgenommen. Er hatte die zwei gelben Baucontainer gesehen, aber nicht das Schild daneben. Darauf standen die Firmen, die an der Sanierung des Schwerbelastungskörpers beteiligt waren. Er wusste noch zu wenig über diesen ungewöhnlichen Leichenfundort. Vielleicht war es überhaupt nicht notwendig, etwas über den runden Betonklotz zu erfahren, vielleicht war es aber auch besonders wichtig. Er wusste es noch nicht. Die Ermittlungen würden es zeigen. Aber das war jetzt Nebensache geworden. Er hatte jetzt ein eigenes Interesse an diesem Bauwerk, das er bis gestern nicht gekannt hatte und das die wenigsten Berliner zu kennen schienen.
    Er las den Text der Baubeschreibung, der aber größtenteils die Informationen beinhaltete, die er schon von Werner bekommen hatte. Er las die Telefonnummer von Werners Büro auf dem Schild ab und wählte sie.
    »Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg, Abteilung Bauwesen, Amt für Planen, Genehmigen und Denkmalschutz. Guten Tag«, meldete sich eine junge weibliche Stimme. Der Berliner Dialekt war unverkennbar.
    Ólafur Davídsson lächelte stumm. Das war also der ganze Name der Abteilung, dachte er. Kein Wunder, dass sich Werner mit der Abkürzung zufriedengab.
    »Davídsson, BKA. Ich hätte gerne Herrn Werner gesprochen.«
    »Der ist gerade in einer Besprechung.«
    »Hat er Ihnen gesagt, wann er wieder zurückkommt?«
    »Die Besprechung ist außer Haus. Er hat gesagt, dass er zu einer Einsatzbesprechung beim LKA müsste.«
    »Wo?«
    »Ich habe ihm vor zehn Minuten einen Wagen zur Keithstraße bestellt. Er ist gerade aus der Tür raus.«
    Davídsson startete den Motor. Engbers hatte ihn nicht angerufen. Er bedankte sich für die Auskunft und fuhr los.
     
    Das Gebäude in der Keithstraße war alt. In jeder Ritze hatte sich der Staub der Jahre voller Bürokratismus niedergeschlagen. Er lag genauso in der Luft wie der ständige Geruch von Bohnerwachs, der sich von dem dunkelgrünen Boden aus im ganzen Haus verteilt hatte.
    Nur in den Ecken, wo nie jemand lief, war er noch so grün und hell, wie er früher überall gewesen sein musste, bevor Hunderte von Zeugen, Gefangenen, Polizisten und Angehörigen darüber gelaufen waren, mit unterschiedlichen Gefühlen.
    Er selbst verspürte im Augenblick Wut.
    Ólafur Davídsson konnte nicht glauben, dass jemand, der imstande sein sollte, einen Mord aufzuklären, ein derart kindisches Verhalten an den Tag legen konnte, wie es Engbers offenbar
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