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Mordlast

Mordlast

Titel: Mordlast
Autoren: Alexander Guzewicz
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Davídsson. Kriminalanalytiker beim Bundeskriminalamt. Der Anzug ist übrigens von Emporio Armani«, entgegnete er ruhig, ohne dabei provokativ zu werden.
    »Raus!«
    Davídsson sah, dass er es ernst meinte, aber er blieb stehen. Der Gerichtsmediziner erhob sich jetzt ebenfalls und machte einen Schritt zwischen Davídsson und den anderen.
    »Engbers, jetzt komm mal wieder runter. Hast du nicht gehört? Er ist vom BKA. Er darf hier sein.«
    Der Angesprochene grummelte etwas Unverständliches und beugte sich zum Opfer hinunter, ohne Ólafur Davídsson weiter zu beachten.
    »Was haben wir?«
    »Sieht aus wie Selbstmord. Er ist erst ein paar Stunden tot.«
    »Geht das auch genauer?« Engbers griff wie aus einem Automatismus heraus an seine Hemdtasche.
    Davídsson sah eine kleine leere Ausbuchtung, wo sich vor Kurzem noch eine Zigarettenpackung befunden haben musste.
    »Nach der Obduktion«, der Gerichtsmediziner machte einen Satz nach oben. »Er kann abtransportiert werden, wenn die Spurensicherung einverstanden ist.«
    »Wir sind fertig hier«, sagte Rach, der die ganze Zeit über unbemerkt von Engbers und Davídsson in dem Gang gestanden hatte, um alles mit anzusehen. Auch die anderen Männer der Spurensicherung standen da.
    »Dann soll der Leichenwagen jetzt kommen. Hat ihn schon jemand gerufen?«, fragte Engbers in Richtung seiner uniformierten Kollegen.
    »Wir haben gewartet, bis …«
    »Scheiße. Ihr solltet lieber den Verkehr regeln, als an einem Tatort herumzutrampeln.« Engbers Augen funkelten, aber der bullige Polizist blieb ruhig. Er zog ein Handy aus der Uniform und bestellte einen Leichenwagen, während Engbers sich zwischen den Kollegen hindurch in den größeren Raum drängte.
    »Er hat erst vor Kurzem aufgehört zu rauchen«, sagte der Gerichtsmediziner.
    »Wer hat das Opfer überhaupt gefunden?« Davídsson sah in die Runde. Eigentlich sollte der ermittelnde Kommissar diese Fragen beantworten.
    »Ein Mitarbeiter vom Bezirksamt. Er sitzt in unserem Bus hinter dem Ding hier. Eine Kollegin passt auf ihn auf. Er hat wohl noch nie eine Leiche gesehen«, antwortete Rach.
    »Und was wissen wir über das Opfer?« Der Kriminalanalyst ging wieder in die Hocke und musterte aus dieser Perspektive den Raum.
    An zwei Wänden waren große kreisrunde Löcher, aus denen ein schwacher Windzug kam. Vor einem der Löcher lagen Holzstücke auf dem Boden. An der hinteren Wand gab es ein rechteckiges Podest, auf dem eine Metallschale mit einem blauen Rand stand. Davídsson erkannte einen Schriftzug, der mit einem schwarzen Stift auf den weißen Grund gemalt worden war. 435a. Daneben lagen ein paar alte, verrostete Bolzen, die einen Durchmesser von mindestens fünf Zentimetern hatten.
    »Was ist das hier überhaupt?«, fragte Davídsson, nachdem ihm auf seine letzte Frage niemand geantwortet hatte.
    »Der Raum hier, oder das … Ding?« Rach hatte sich neben die Stange gestellt, die bei genauerem Hinsehen eher ein T-Pfosten war, der etwa knietief aus dem Boden ragte.
    »Beides.«
    »Das Ding ist der sogenannte Schwerbelastungskörper. Was das nun wieder ist, weiß ich auch nicht so genau. Ich habe nur irgendwann einmal in der Zeitung gelesen, dass er von den Nazis gebaut worden ist. Welche Funktion der Raum hier hat, weiß ich leider auch nicht.« Es sah beinahe so aus, als ob Rach den Pfosten bewachen würde.
    Davídsson zog aus der Innentasche seines Sakkos zwei Zehn-Krónur-Münzen und legte sie beide mit der Seite, die die vier Kapelane zeigten, auf die Stirn des Toten.
    »Hey, was machen Sie da?«, fragte Engbers, der in diesem Moment wieder den Raum betrat.
    Davídsson hatte nicht vor, es ihm zu erklären. Er hatte während seiner Schulzeit in Reykjavík von diesem Brauch gelesen und seither war er von der griechischen Mythologie fasziniert. Es war nicht so, dass er an ihre Bedeutung glaubte, aber trotzdem war es eine gute Art, von einem Toten Abschied zu nehmen.
    Es war seine Art, Abschied zu nehmen.
    Als sein Vater auf dem Fossvogskirkjugarður beerdigt worden war, hatte er zum ersten Mal von diesem Ritual Gebrauch gemacht. Es war das erste Mal gewesen, dass er mit dem Tod konfrontiert worden war. Das erste Mal, dass er eine Leiche gesehen hatte, sie berührt hatte und verstanden hatte, dass das ein unwiderrufliches Ende bedeutete. Für ihn, für seine beiden Geschwister und für seine Mutter. Seither bedeutete dieses Ritual für ihn, den Toten nicht einfach wie eine Sache zu betrachten. Wie einen weiteren
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