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Mord und Mandelbaiser

Mord und Mandelbaiser

Titel: Mord und Mandelbaiser
Autoren: Jutta Mehler
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Gäste am Nebentisch konsterniert aufsahen.
    Im Krönner herrschte generell eine gepflegte Atmosphäre, flegelhaftes Lachen älterer Damen war da fehl am Platz. Solche Entgleisungen wurden äußerstenfalls von Teenagern hingenommen, aber auch da nicht ohne Stirnrunzeln.
    Thekla räusperte sich, als könne sie den Lacher damit vertuschen, und dämpfte ihre Stimme. »Die Schnapsflasche hat er umarmt – stockbesoffen. Und die Träume, die er empfangen hat, müssen Alpträume gewesen sein. Schreckgespenster im Gewand jämmerlicher Verse.«
    Hilde legte das Besteck erneut beiseite und klopfte mit ihrem knochigen Finger auf die Tischplatte. »Du kannst ihn verunglimpfen, kannst seine Verse verreißen, aber du wirst nichts daran ändern können, dass Lanz eine bedeutende Persönlichkeit war. Viele, viele Menschen werden sich am Totenbett von ihm verabschieden wollen.« Sie machte eine inhaltsschwere Pause, bevor sie weitersprach. »Seine Witwe hat heute in aller Früh schon meinen Neffen zu sich ins Haus bestellt. Sie möchte, dass Lanz aussieht wie Apoll, wenn die Trauernden an seinem offenen Sarg vorbeidefilieren.«
    Um nicht noch einmal Anstoß zu erregen, presste Thekla die Serviette auf den Mund, bis sie sich so weit erholt hatte, dass sie mit gedämpfter Stimme sagen konnte: »Apoll! Ein Jüngling von göttlichem Wuchs, von natürlicher Schönheit. Nicht einmal runderneuert kann Lanz einem Apoll das Wasser reichen. War seine Nase nicht bläulichrot wie eine überreife Pflaume?«
    Hilde hob spöttisch eine Augenbraue. »Habe ich behauptet, dass die Verwandlung billig kommt?«
    Thekla stach in ihr Tortenstück. »Apoll«, murmelte sie erbost, »in seinem ganzem Leben hat Hermann Lanz keinen einzigen Tag ausgesehen wie Apoll, und ein guter Dichter war er auch nicht.«
    Hilde hatte ihren Toast noch nicht einmal zur Hälfte aufgegessen legte jedoch das Besteck quer über den Teller und tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. »Er wird auch nie so aussehen«, sagte sie versöhnlich. »Mein Neffe ist zwar gut in seinem Beruf – man kann getrost sagen, er ist der Beste –, doch selbst der Meister aller Thanatologen könnte aus Lanz keinen Apoll machen. Aber«, sie hob beide Hände und legte jeweils den Daumen und den Zeigefinger aneinander, um das Delikate in ihren nächsten Worten zu unterstreichen, »Rudolf hat einen Göttervater aus ihm gemacht.«
    »Feuf?« Thekla hatte eine Gabelvoll von ihrer Torte im Mund und ließ das Gemisch aus Mokkabuttercreme und Mandelbaiser genießerisch zergehen. Für keine Unterhaltung der Welt hätte sie den Bissen einfach hinuntergeschluckt, ohne ihn gebührend auszukosten. Die beiden Damen am Tisch hatten ohnehin verstanden, was sie meinte. Sogar Wally.
    »Zeus!«, rief sie begeistert. »Dein Neffe ist ein Genie, Hilde. Unser verehrter Dichter wird im Olymp thronen als Gottvater aller Poeten.«
    Thekla schluckte nun doch früher als beabsichtigt. Es reichte. Sie würde Wally den Marsch blasen, und zwar gehörig. Lanz, dieser Verse-Verhunzer, war allenfalls der billige Abklatsch eines minderwertigen Poeten, und thronen würde er sicherlich nirgendwo.
    Als sie gerade loslegen wollte, streifte ihr Blick Hilde, deren Mundwinkel streng nach unten gebogen waren und an beiden Seiten ihres Kinns tiefe Gräben modellierten, die auf Unmut schließen ließen. Hildes Gesichtsausdruck veranlasste Thekla, innezuhalten. Statt Wally zu attackieren, fragte sie überrascht: »Nicht Zeus? Nicht der mächtige Herrscher mit Kräuselbart und Lockenmähne? Ah, verstehe, auch dafür gibt Lanz nicht genügend her. Er war ja so unbehaart wie ein Hühnerei.« Sie tat, als würde sie scharf nachdenken. »Ist mir je ein Mythos untergekommen, in dem von einem glatzköpfigen Göttervater die Rede ist? Wen kann dein Neffe bloß vor Augen gehabt haben?«
    »Wotan«, schnappte Hilde.
    Thekla grinste breit. »Hätte ich mir ja denken können. Liest dein Neffe immer noch so gern in seiner Sammlung nordischer Göttersagen?«
    Hilde presste ärgerlich die Lippen aufeinander.
    »Zeus, Wotan«, mischte sich Wally ein. »Kommt das nicht auf dasselbe heraus?« Träumerisch fuhr sie fort: »Unser Dichter gleicht tatsächlich einem heidnischen Göttervater: ein bisschen verlebt, ein bisschen von Ausschweifungen gezeichnet, aber machtvoll.«
    Thekla ignorierte sie und fragte stattdessen Hilde: »Hat Rudolf dem Dichter einen Kriegerhelm aufgesetzt und einen Speer in die Hand gedrückt? Oder was sonst soll ihn wie Wotan aussehen
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